0068 - Die Geisternacht
der Amerikaner. »Genau wie du es gesagt hast… Sie versuchen, die Errungenschaften des zwanzigsten Jahrhunderts in ihrer Zeit nutzbar zu machen.«
So sah es aus. Was würde geschehen, wenn die Diener des Schrecklichen statt eines einfachen Landarbeiters wirklich einen Ingenieur oder einen Wissenschaftler in die Hände bekamen?
Wie Padre Henrique erzählt hatte, waren sie erstmals vor ganz kurzer Zeit in Sacromonte aufgetaucht. Sicherlich fanden sie sich in der Welt der Neuzeit noch nicht zurecht. Aber sie würden lernen.
Immerhin war einer von ihnen sogar schon bis zur Hauptstadt vorgedrungen. Es wurde höchste Zeit, diesem Treiben einen Riegel vorzuschieben.
»Noch eine Frage, Tizoc«, fuhr der Professor fort. »Als Sie von unserer Welt in diese hier gekommen sind… Ist Ihnen dabei etwas aufgefallen?«
Pizana antwortete nicht sofort. Er schluckte und kniff die Lippen fest zusammen. Tränen stiegen ihm in die Augen, die er mit einer beinahe wütenden Bewegung wegwischte.
»Maria… Meine Frau …«, stammelte er. »Sie hat ihnen geholfen. Geholfen!« Er lachte fast hysterisch auf. »Sie haben sie ihrem Schandgott geopfert und Tezcatlipoca dabei angefleht, ihnen das Tor zu öffnen. Und der Schreckliche hat ihr Opfer angenommen und den Weg freigegeben.«
Der Professor sah jetzt etwas klarer. Es stimmte also – die Nahtstelle zwischen den Welten klaffte nicht immer. Tezcatlipoca, ein Wesen aus der Zwischenwelt, ein Wesen aus der Dimension der Dämonen und Geister musste seine Höllenkraft einsetzen, um die Nahtstelle soweit zu erweitern, dass Menschen hindurchschlüpfen konnten. Nach einer gewissen Zeit schloss sich die Naht dann wieder. Nicole, Bill und er waren dicht hinter den Priestern und ihren Gefangenen gewesen und hatten deshalb auch noch passieren können. So ungefähr musste sich der Vorgang abspielen.
Und er hatte jetzt auch eine Erklärung dafür, dass sie vollkommen nackt in der Welt der Azteken angekommen waren. Durch das Loch zwischen den Dimensionen konnten offenbar nur beseelte Spezies gelangen. Menschen und Objekte, in denen übernatürliche Kräfte schlummerten. Sein Amulett, zum Beispiel, und die Jaguarfelle der Jünger des Gottes, die dessen Wesenheit symbolisierten.
Wenn seine Theorie stimmte, brauchten sie wenigstens nicht zu befürchten, in dieser Welt auf einmal mit Revolvern oder Handgranaten konfrontiert zu werden. Derartige Artikel des militärischen Hausgebrauchs würden wie Schuhe und Unterhosen an der Grenze zwischen den Dimensionen zurückbleiben. Immerhin ein Trost.
Noch eine Frage brannte dem Professor wie Feuer auf den Nägeln.
Xamotecuhtli!
Der Held der Chalca, von dem die Sage berichtete, dass er mit Quetzalcoatl im Bunde gewesen sei und den Terror der Jünger des Schrecklichen gebrochen habe.
Amecameca war eine Stadt der Chalca.
Und er, Zamorra, befand sich jetzt ganz in der Nähe.
Waren am Ende Xamotecuhtli und Professor Zamorra doch ein und dieselbe Person?
Aber diese Frage würde ihm Tizoc Pizana mit Sicherheit nicht beantworten können.
***
Sternenklar war der Himmel und kalt die Luft in dieser Nacht.
»Seht!«, sagte Pizana und zeigte nach oben. »Das Zeichen des schrecklichen Gottes.«
Zamorra, Nicole und Bill folgten mit den Blicken seinem ausgestreckten Zeigefinger, der auf ein bestimmtes Sternbild gerichtet war.
»Ihr Weißen sprecht vom Großen Bären«, fuhr der Indianer fort, »aber ihr irrt. Dies ist das Zeichen des Jaguars. Tezcatlipoca!«
Es war Wahres dran an dem, was der Indio sagte. Mit etwas Phantasie konnte man in dieser Sternenkonstellation sehr wohl die Konturen eines Jaguars erkennen.
Tezcatlipoca – der ewig junge und allmächtige Gott des nächtlichen Himmels, Schutzpatron der Zauberer und Magier. So stand es in den Handbüchern der Mythologie.
Wieder einmal musste Professor Zamorra erkennen, dass Mythologie nicht nur Dichtung war. Es steckte so manche Wahrheit dahinter, die sich die berüchtigte Schulweisheit nicht träumen ließ.
Im Moment stand ihm jedoch nicht der Sinn nach solchen Betrachtungen. Er fror, hatte Hunger und Durst. Und den anderen drei ging es nicht viel anders.
»Ich glaube, es dürfte jetzt an der Zeit sein«, sagte er entschlossen.
Nicole blickte ihn an. Im schwachen Mondlicht konnte er deutlich erkennen, dass die Sorge in ihren Augen stand.
»Willst du wirklich gehen, Chef?«, fragte sie leise. »Es ist gefährlich. Vielleicht sehen wir dich niemals wieder.«
»Aber Nicole«, gab er zurück. »Das haben
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