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0068 - Die Geisternacht

0068 - Die Geisternacht

Titel: 0068 - Die Geisternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Wolf Sommer
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Schmerzen.
    Der Professor war kein Sadist. »Machen Sie den Dolmetscher«, sagte er zu Pizana.
    Der Indianer nickte.
    »Sagen Sie ihm zuerst, dass ich ihn sofort loslasse, wenn er sich ruhig und folgsam verhält.«
    Pizana übersetzte. Flüssig wie Öl kamen ihm die zungenbrecherischen Vokabeln der Aztekensprache über die Lippen.
    Der Einheimische antwortete, erklärte sich mit dem Vorschlag einverstanden. Zamorra ließ ihn los, war aber auf eine Heimtücke des Mannes gefasst. Diese blieb jedoch aus. Er war brav wie ein Lamm, blickte irritiert von einem zum anderen und hatte fraglos große Angst. Ja, man konnte es sogar Ehrfurcht nennen. Der weiße Mann im Jaguarfell beeindruckte ihn zutiefst.
    »Fragen Sie ihn, was hier in der Stadt vorgeht. Ob sie tatsächlich nach uns suchen.«
    Zwischen den beiden rotbraunen Männern entspann sich ein schneller Dialog, dem der Professor nicht folgen konnte. Er verstand kein einziges Wort. Theorie und Praxis seiner Nahuatl-Kenntnisse klafften weit auseinander.
    Schließlich präsentierte Pizana eine kurze Zusammenfassung. Beruhigt konnte Zamorra feststellen, dass der junge Indianer recht intelligent vorgegangen war. Er hatte sich nicht auf Zamorras Auskunftsbegehren beschränkt, sondern selbstständig Ergänzungsfragen gestellt.
    »Sie suchen tatsächlich nach uns«, sagte er. »Nach Ihnen, genauer gesagt. Zwei Männer mit Gesichtern wie Maismehl, so hat er sich ausgedrückt.«
    »Wer sind eigentlich sie ?«, erkundigte sich Zamorra.
    »Amecameca ist eine besetzte Stadt, die zum Staatenbund der Chalca gehört. Cuauhmaxtli, der Tlatoani oder Herrscher der Stadt, ist zwar ein Chalca, aber die wahre Herrschaft wird von Tenochtitlan ausgeübt. Eine schlagkräftige Truppe, zu der diese Burschen hier gehören, tyrannisiert die Bevölkerung.«
    »Und der Tempel da oben?« Zamorra machte eine Daumenbewegung zum Vulkan hin.
    »Die Jünger Tezcatlipocas sind Azteken, keine Chalca.«
    Der Professor überlegte. »Fragen Sie ihn, ob er Xamotecuhtli kennt«, sagte er.
    Der Name sagte dem Azteken nichts. Der Professor erkannte das schon, bevor Pizana die Antwort des Mannes übersetzte.
    Er kam nicht dazu, weiter in den Gefangenen zu dringen. Sowohl er als auch Pizana hatten im Eifer des Verhörs nicht auf den zweiten Mann geachtet. Der Bursche hatte anscheinend bereits zwischendurch das Bewusstsein wiedererlangt, dies aber nicht zu erkennen gegeben. Jetzt sprang er jedenfalls ruckartig auf. Er machte keinerlei Anstalten, die Fremdlinge anzugreifen, sondern stürmte sofort auf den Hauseingang zu. Bevor sich Pizana und der Professor gefasst hatten, war er draußen. Sein gellendes Gebrüll klang wie Feueralarm in Zamorras Ohren.
    Der andere Azteke, die momentane Unaufmerksamkeit seiner Bewacher nutzend, wollte ebenfalls die Flucht ergreifen. Aber so sehr saß der Professor nun auch nicht auf seinen Augen. Mit einem schnellen Schritt war er bei dem Mann und versetzte ihm einen harten Schlag in den Nacken. Der Azteke vergaß seine Fluchtgedanken und stürzte zu Boden. Ein weiterer Hieb sorgte dafür, dass er sich nicht mehr rührte.
    Das Geschrei des Entflohenen setzte sich fort. Es war nur eine Frage von Sekunden, bis die halbe Garnison alarmiert war.
    »Wir müssen hier raus, Tizoc«, sagte Zamorra hastig. »Dieser Raum ist wie eine Mausefalle.«
    Der Indianer griff nach der Keule, die der geflüchtete Azteke in der Eile liegengelassen hatte.
    »Ich bin bereit«, sagte er.
    Sie stürzten zum Ausgang. Die Alarmschreie hatten bereits ihre Wirkung getan. Im Türrahmen stehend sah Zamorra eine ganze Reihe aztekischer Krieger. Sie kamen von zwei Seiten, schlossen ihn und Pizana in einer Art Zangenbewegung ein. Fackeln leuchteten und machten die Nacht fast zum Tag.
    Wenn die Zange zuschnappte, war alles verloren. Zamorra packte das Obsidianmesser fester. Nur ein entschlossener Ausbruch konnte jetzt helfen.
    Links schien die Zusammenballung von Soldaten etwas lockerer zu sein.
    »Mir nach!«, stieß Zamorra hervor. Dann rannte er los, geradewegs in die Gruppe der Azteken hinein. Tizoc Pizana blieb ihm dicht auf den Fersen.
    Wie ein Unwetter fuhr er zwischen die Indianer. Er ließ den Dolch kreisen wie ein Minischwert. Die Azteken wichen ängstlich zur Seite. Vielleicht war es auch seine hohe Gestalt und die für sie so fremdartige Hautfarbe, die sie zurückprallen ließen. Nicht ein einziges Mal musste er mit dem Messer ernsthaft zustechen. Auch ohne Blutvergießen entstand eine Gasse, durch die er

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