0068 - Todeswalzer
Kastenwagen. Er startete den Motor. Dann wies er auf die Bilder und sagte geringschätzig. »Am besten wäre es, die Meisterwerke zu verbrennen. Wenn sie Wärme geben, taugen sie wenigstens zu etwas.«
Rhodes schwang die Fäuste hoch. Er rannte auf Marshall zu. Doch der Galeriebesitzer gab rasch Gas und ließ die Kupplung kommen.
Der Kastenwagen machte einen Sprung vorwärts, und Chris Rhodes Rechte knallte nicht in Marshalls Gesicht, wie er es beabsichtigt hatte, sondern gegen das Blech des Fahrzeugs.
Der Maler bebte vor Zorn.
Wütend starrte er dem davonfahrenden Wagen nach.
»Na warte!« knirschte Rhodes mit zuckenden Lippen. »Das wirst du bereuen, Melvyn Marshall!«
***
Tim Tylor holte weit aus, damit ich mich in seiner Geschichte auskannte. Er sprach von Lucille Donat und daß sie drei Jahre mit einem Maler namens Chris Rhodes gelebt hatte.
Ich erfuhr von dem Martyrium, das Lucille an der Seite dieses Malers mitgemacht hatte – bis sie sich schließlich dazu aufraffen konnte, ihn zu verlassen.
Das war geschehen, als sie Tim kennengelernt hatte.
Der Junge blickte auf seine Finger und erzählte weiter: »Gestern abend war ich wohl nicht gerade bester Laune. Es ärgerte mich, daß Lucille, wenn wir über irgend etwas sprachen, immer wieder Chris Rhodes zitierte. Ich wollte nicht einsehen, daß drei Jahre an einem Menschen nicht spurlos vorübergehen. Das Zusammenleben mit dem Maler hatte sich in Lucille eingeprägt. Ich hätte es gern gesehen, wenn sie ihn für immer vergessen hätte, und es regte mich auf, wenn Lucille fortwährend sagte: ›Chris dachte über dieses Problem so… Chris hätte in dieser Angelegenheit anders entschieden…‹ Ich wollte Lucille für mich allein haben, verstehen Sie. Aber ich hatte das Gefühl, daß ich sie mit Chris Rhodes teilen mußte. Das machte mich krank. Deshalb explodierte ich gestern abend in der Diskothek. Aber schon auf dem Parkplatz habe ich mich mit Lucille wieder versöhnt.«
Ich bat Tim Tylor, mir zu erzählen, was sich in Lucille Donats Wohnung abgespielt hatte.
Er berichtete mir haarklein. Nicht das geringste Detail ließ er aus. Und ich hatte keine Veranlassung, ihm nicht zu glauben.
Das sagte ich ihm.
Er blickte mich mit großen Augen an. »Ehrlich gesagt, ich habe befürchtet, auch Sie würden in mir einen Lügner sehen, Oberinspektor Sinclair.«
»Bill Conolly würde für Sie die Hand ins Feuer legen. Wenn Bill das tut, dann tu’ ich es auch.«
»Aber Inspektor Harris…«
»Lassen Sie mich nur machen«, erwiderte ich.
Ein mordendes Skelett in London. Das war eindeutig ein Fall für meine Abteilung. Ich griff zum Telefon, um Hywood Harris das sogleich mitzuteilen.
»Ich wußte, daß es dazu kommen würde!« schnaubte Harris ärgerlich. »Aber ich lasse mir diesen Fall von Ihnen nicht wegnehmen, Sinclair!«
»Seien Sie doch vernünftig. Sie sind in diesem Fall nicht kompetent.«
»Der Junge lügt doch!«
»Ich bin anderer Meinung«, widersprach ich. »Was glauben Sie, wozu meine Abteilung geschaffen wurde? Damit ehrgeizige Inspektoren sie ignorieren und sich blind in einen Fall verbeißen, den sie niemals lösen können?«
»Also das ist doch…«
»Hören Sie, Inspektor Harris. In spätestens einer Stunde möchte ich sämtliche Unterlagen, die diesen Fall betreffen, in meinem Büro haben!«
»Das lasse ich mir nicht gefallen, Sinclair!«
»Muß ich Sie wirklich zwingen, Inspektor? Warum ersparen Sie uns beiden das nicht?«
»Der Mord an Lucille Donat ist mein Fall, Oberinspektor Sinclair! Und er bleibt auch weiterhin mein Fall!«
»Das werden wir ja sehen!« sagte ich verstimmt und warf den Hörer in die Gabel.
Ich setzte mich über die Sprechanlage mit meiner Sekretärin in Verbindung und bat sie, herauszufinden, ob Superintendent Powell inzwischen eingetroffen war.
Eine Minute später hatte ich meinen Chef an der Strippe. Ich schilderte ihm knapp, aber präzise, in welcher Weise sich Inspektor Hywood Harris querlegte.
Es war mir unangenehm. Ich regelte diese Dinge gern ohne den Chef. Aber wenn es sich nicht vermeiden ließ…
»Das werden wir gleich haben«, sagte Sir Powell, als ich geendet hatte.
Und fünf Minuten später war es mein Fall.
Das erste, was ich machte, nachdem mir der Fall offiziell übertragen worden war, war: Ich schickte Tim Tylor nach Hause.
Keine Sekunde lang hätte man den Jungen einsperren dürfen, denn er war unschuldig.
***
Melvyn Marshall fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Phü«, machte
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