007 - Das Grauen von Blackwood Castle
irritiert um, fuhr sich über die Augen und begriff im
ersten Moment nicht, was los war und wo sie sich befand. Dann registrierte sie
es, schrie erschrocken, richtete sich auf, und ihre Blicke schweiften gehetzt
hin und her.
Unzählige Gesichter blickten ihr entgegen.
Augen starrten sie an. Es waren ihre Augen.
Spiegel! Überall Spiegel!
Amely Sutter kam taumelnd auf die Beine, ging vorsichtig auf einen Spiegel
zu und ließ die Hand über die glatte, glänzende Fläche gleiten.
Rundum lauter Amely Sutters!
Wie aus dem Boden gewachsen stand eine Gestalt neben ihr.
»Edward!«, entfuhr es Amely. »Was soll der Unfug? Warum hast du mich hier
eingesperrt?« Ihre Stimme klang unsicher. »Du wolltest mich töten lassen.
Warum?«
»Ich habe davon auch noch nicht wieder Abstand genommen, meine liebe
Amely!« Die Stimme des Earl hallte höhnisch durch das Spiegelkabinett. »Es gibt
Menschen, die lässt man auf der Stelle umbringen, wenn sie unbequem geworden
sind. Es gibt andere, die lässt man leiden. Du gehörst zur zweiten Sorte! Ich
habe dich zu sehr geliebt, als dass ich es übers Herz brächte, dich sofort ins
Jenseits zu befördern. Jetzt hasse ich dich! Und du sollst meinen Hass bis in
die letzte Faser deines Körpers zu spüren bekommen!«
Amely wurde kreidebleich.
Er war überall, aber es war nur sein Spiegelbild. Wo stand er wirklich?
»Komm zu mir«, lockte sie. »Lass uns miteinander sprechen. Das Ganze ist
ein Irrtum. Du musst verstehen ...«
»Ein Irrtum?«, unterbrach sie die harte Stimme gefühllos. »Ein Irrtum, dass
du mich verraten wolltest? Da wirst du zufällig Zeuge eines Telefongesprächs,
und schon nutzt du dein Wissen schamlos gegen mich aus.«
»Das stimmt nicht!«
»Du wolltest diesen Brent warnen. Du hast ein Geschäft gewittert.
Natürlich, es ist ein Geschäft. Ein Geschäft, das acht Millionen wert ist! Kein
Pappenstiel. Jeder, der sich mir in den Weg stellt, wird beiseite geschafft.
Schade, dass du es sein wirst.«
»Lass uns miteinander reden, bitte. Du siehst die Dinge nicht, wie sie
sind. Du wurdest falsch unterrichtet.«
»Falsch unterrichtet?«, fragte er höhnisch. Seine Stimme kam von überall
her. »Ich habe dein Telefon überwachen lassen. Seit Wochen schon. Und das war
ein guter Entschluss. Seit geraumer Zeit schon ist mir klar, dass ich nicht der
einzige bin, der dich aushält. Es passte zu dir, es hatte Format. Eine Frau wie
du konnte sich das erlauben, ohne Gefahr zu laufen, deshalb Ärger mit einem
ihrer anderen Freunde zu bekommen. Ich hätte dir verziehen. Aber ich kann dir
nicht verzeihen, dass du mich hintergehen und verraten wolltest.«
»So lass' dir doch erklären ...«
Da wurde es stockdunkel. Amely Sutter hielt den Atem an. Was würde
passieren? Und es wurde wieder hell. In den Spiegeln sah sie nur noch sich. Der
Earl war verschwunden!
●
»Edward?!«, rief sie. »Edward!« Aber sie hörte nur ihre Stimme, die als
schwaches Echo verhallte. Eine Antwort des Mannes kam nicht.
Was führte er im Schild?
Verzweifelt dachte sie darüber nach, was sie unternehmen könnte, um aus
diesem Gefängnis zu entkommen.
Aber da gab es keine Möglichkeit. Sie fand keine Tür und keinen Ausgang.
Wollte der Earl sie hier festhalten, bis sie vor Durst und Hunger umkam?
Panische Angst ergriff sie, denn er hatte die Möglichkeit.
Wenn dieses Spiegelkabinett irgendwo in einem Kellergewölbe untergebracht
war, konnte sie rufen und schreien, solange sie wollte. Niemand würde sie
hören!
Sie zuckte zusammen, als sie aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung
wahrnahm.
Da war etwas!
Im ersten Augenblick glaubte sie, sich getäuscht zu haben.
Etwas riesenhaftes Graugelbes schob sich von allen Seiten auf sie zu.
Es war der ins Gigantische vergrößerte Körper einer Raupe.
Ein seltsamer, unbeschreiblicher Geruch entströmte dem Körper. Der große,
glitschige Leib rutschte über den Boden. Große Schaumblasen stiegen unter dem
pulsierenden Fleischkloß hervor. Auf einer breiten Schleimspur glitt das
Ungetüm glucksend näher.
Amely Sutters gellender Schrei hallte durch das Spiegelkabinett.
Sie rannte in die äußerste hintere Ecke, klopfte gegen die Spiegel und
schlug einen ein, in der Hoffnung, dahinter den geheimen Ausgang zu finden.
Aber dahinter befand sich die nackte, kahle Wand.
Amely Sutter begann zu schluchzen. Sie wusste nicht mehr, was sie noch tun
sollte und drückte sich in die Ecke, starrte mit weit aufgerissenen Augen auf
den Koloss, und ein
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