0071 - Knochensaat
und das konnte er ihr nicht einmal übelnehmen. Wenn er sie schon einweihte – das würde sicherlich nicht ausbleiben –, dann behutsam und vorsichtig. Nach und nach sollte sie mehr erfahren. Sie glaubte an einen Scherz, eine Täuschung. »Wer macht denn so etwas?« flüsterte sie. »Das kann ich nicht begreifen. Warum wollte man uns erschrecken?«
»Wir werden es erfahren«, erwiderte Will. »Irgendwann.«
»Ich habe Angst«, sagte Karin leise.
»Das ist ganz natürlich.«
»Laß uns gehen, bitte!«
Der Kommissar nickte. Etwas anderes hatte er sowieso nicht vorgehabt. Er nahm Karin bei der Hand, und sie liefen den Weg so rasch zurück, wie es eben ging. Diesmal schafften sie die Strecke in der Hälfte der Zeit. Dabei ahnten sie nicht, daß im Dorf bereits eine weitere Überraschung auf sie wartete.
***
Schon als sie aus dem Wald traten und hinunter zum Gasthaus schauten, sahen sie, daß etwas nicht stimmte. Will und Karin befanden sich so hoch, daß sie über das Dach sehen konnten, und erkannten trotz der Dunkelheit die zahlreichen Menschen auf der Straße. Einige hielten eingeschaltete Taschenlampen in den Händen. Wenn die Träger sich bewegten, tanzten die Strahlen hektisch hin und her. Karin Becker schüttelte verwundert den Kopf. »Was soll das bedeuten?« fragte sie.
Will Mallmann hob die Schultern. »Keine Ahnung, aber wir werden es bald wissen.«
»Ob das mit dem Auftauchen des Skeletts zusammenhängt?«
»Möglich.«
Sie gingen weiter und schritten dabei weit aus. Unter ihren Schuhsohlen rutschten Steine und Geröll weg. Dann umrundeten sie das Haus und hatten kaum den Parkplatz passiert, als ihnen Anna, die Bedienung, entgegenkam.
Selbst im schlechten Licht der Außenbeleuchtung des Gasthauses erkannten sie die Angst auf Annas Gesicht. »Herr Mallmann«, sagte sie und legte ihre Hand auf den beachtlichen Busen. »Dem Himmel sei Dank, daß Sie und Frau Becker wieder hier sind.«
Will probierte ein Lächeln. »Aber was ist denn los? Wir sind doch nicht von den Toten auferstanden.« Anna wich einen Schritt zurück. »Erwähnen Sie nur nicht die Toten. Sagen Sie das Wort nicht.«
»Aber warum?«
Anna trat wieder näher, so daß sie dicht vor Will Mallmann stand und er die Küchendünste roch, die in ihrer Kleidung hingen. »Die Toten sind auferstanden«, flüsterte sie. »Das müssen Sie mir erklären.«
»Er hat sie gesehen!«
»Wer?« fragte Will.
»Fred Spatzek, der Küster und Totengräber. Er wollte das Grab ausheben, die Knochen über die Rutsche gleiten lassen, und dann kam das Skelett.« Mallmann verstand nichts. Bis auf das Skelett.
»Was machte es?«
Anna schüttelte den Kopf. »Nichts. Es ging einfach weg. Auf den Wald zu, wie Spatzek erklärte. Es wollte bestimmt zum Stein. O Gott, Sie waren ja auch da.« Sie preßte ihre Hand gegen den Mund.
Mallmann log jetzt. »Wir haben aber nichts gesehen«, sagte er ruhig.
»Dann danken Sie dem Herrgott.« Anna wollte wieder gehen, doch der Kommissar hielt sie an der Schulter zurück. »Wo kann ich mit diesem Totengräber sprechen? Ist er da?«
»Ja, er sitzt drüben in der Gaststube. Der Herr Chef und der Herr Pfarrer sind bei ihm. Spatzek wollte sich betrinken, um die Angst zu töten, aber das haben die anderen nicht zugelassen.«
»Warum laufen denn die Menschen hier auf der Straße herum?« wollte Will Mallmann noch wissen. »Weil Spatzek sie verrückt gemacht hat. Er hat doch laut genug geschrien.«
»Danke, Anna.«
Der Kommissar hatte keine Lust, Erklärungen abzugeben. Und er hatte sich entschlossen, sein Inkognito zu lüften, obwohl er unerkannt Urlaub machen wollte. Ein Polizist stand vor dem Eingang der Gaststube. Ein typischer Dörfler, was keineswegs negativ gemeint ist. Karin Becker und Will Mallmann traten auf ihn zu.
»Sie dürfen hier nicht rein!« sagte, der Polizist und hob drohend die Augenbrauen.
»Wer bestimmt das?« fragte Mallmann zurück.
»Ich!«
Der Kommissar nickte und griff unter seine Jacke, während sich der Polizist räusperte und sich noch breitbeiniger aufstellte.
Will Mallmann zeigte ihm seinen Ausweis. »Bitte!«
Der Polizist wurde blaß. »Entschuldigen Sie, Herr Kommissar, das habe ich nicht gewußt. Bitte sehr.«
Er hielt Will und Karin sogar die Tür auf. Nebeneinander betraten die beiden Menschen die Gaststube, in der sie vor zwei Stunden noch gegessen hatten. Drei Männer saßen an dem ovalen Stammtisch. Den Wirt kannte Will. Der Pfarrer war an seiner Kleidung zu erkennen, und bei
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