0071 - Knochensaat
eine andere Ursache haben.
Woher stammte dieses eigentümliche Geräusch? War das Geräusch ein Rätsel, das der Stein von einer anderen Welt oder aus dem Universum mitgebracht hatte? Will Mallmann dachte daran, denn er hatte in den letzten drei Jahren gelernt, daß es auf unserer Welt verdammt viele Rätsel gab, die mit dem normalen Verstand nicht zu begreifen, geschweige denn zu lösen waren.
Der Stein barg ein Geheimnis. Daran gab es für Kommissar Mallmann nichts zu rütteln.
Baute sich dieses Rätsel auf eine physikalische Basis auf oder auf eine dämonische?
Das war die Frage, die Will Mallmann beschäftigte. Er überlegte, welch eine Bedeutung diesem Felsen zugemessen wurde. Er stand sicherlich nicht ohne Grund in dieser abgelegenen Gegend des Bayerischen Waldes. Will warf einen Blick über die Schulter zurück. Karin Becker stand noch auf dem gleichen Fleck. Es war inzwischen so dunkel geworden, daß Will nur mehr die Umrisse der Frau sah. Ihr Gesicht jedoch leuchtete wie ein heller Fleck.
Abermals wandte sich der Kommissar dem Stein zu. Er wollte ihn einmal umrunden, sich die Rückseite anschauen, doch dazu kam es nicht mehr. Karin Beckers panischer Ruf riß ihn herum. »Will! Da!« schrie sie.
***
Kommissar Mallmann traute seinen Augen nicht.
Rechts neben Karin Becker war eine Gestalt aus dem Wald getreten.
Ein Mensch? Nein, ein Skelett!
Ein Gerippe, bestehend aus bleichem Knochen, die von einer silbrig schimmernden Aura umgeben waren.
Karin Becker stand steif vor Entsetzen. Weit hatte sie die Augen aufgerissen und starrte die makabre Erscheinung an.
Doch das Skelett kümmerte sich nicht um die beiden Menschen. Es verließ den Wald und schritt schnurstracks auf den Felsen zu. Dabei schaute es nicht nach rechts und links, einzig der Felsen interessierte das Gerippe.
Kommissar Mallmann löste sich als erster aus der Erstarrung. Er trat hastig zwei Schritte zur Seite, damit er mit dem unheimlichen Knochenmann nicht zusammenstieß.
Dann beobachtete er weiter und wartete ab, was geschah.
Das Skelett blieb vor dem Felsen stehen. Es hatte eine fast militärische Haltung eingenommen, streckte jetzt den Arm aus und legte seine Knochenfinger gegen den Felsen.
Die linke Hand folgte.
Der knochige Oberkörper fiel etwas nach vorn, und in seiner gebückten Haltung blieb das Gerippe stehen. »Will!« vernahm Mallmann den schluchzenden Ruf der Frau, doch der Kommissar reagierte nicht. Der Knöcherne hatte ihn fasziniert. Einige Sekunden verstrichen. Dann begann eine etwa türgroße Fläche inmitten des Steins hell aufzuleuchten, und noch ehe der Kommissar sich versah, verschwand das Skelett in dieser Fläche.
Es wurde regelrecht von ihr aufgesaugt. Einen Augenblick später erlosch das Leuchten, und der Stein sah wieder aus wie zuvor.
Nichts, aber auch gar nichts erinnerte daran, daß er eine Horrorgestalt verschluckt hatte.
Kommissar Mallmann stöhnte auf. Er wischte sich über die Augen und glaubte, einen schlimmen Traum erlebt zu haben. Aber er wußte gleichzeitig, daß es kein Traum gewesen war, sondern Realität.
Vorbei mit dem Urlaub. Der verdammte Zufall hatte ihn direkt in einen heißen Fall geführt. Oder war vielleicht alles bewußt gelenkt und gesteuert worden? Will Mallmann wußte es nicht. Ihm war nur klar, daß er allein und ohne Hilfsmittel nicht mehr weiter kam. Denn eins hatte er sich vorgenommen. Das Rätsel dieses geheimnisvollen singenden Felsens mußte gelöst werden. Wie auch immer.
»Will, bitte…« Karin Beckers Ruf brachte den Kommissar in die Realität zurück und stoppte seinen Gedankenfluß. Wie verloren stand die Frau am Rand der Lichtung und blickte dem Kommissar entgegen, der auf sie zulief. Will nahm Karin in die Arme.
»Mein Gott«, flüsterte sie, »was ist geschehen? Habe ich einen Alptraum gehabt?«
»Nein, es ist alles wahr gewesen.«
»Dann – dann…« Sie holte tief Luft. »Dann hat es dieses Skelett wirklich gegeben?« Will nickte.
Heftig schüttelte die Lehrerin den Kopf. »Das ist doch nicht möglich. Da hat sich jemand einen Scherz erlaubt und sich verkleidet. Es gibt keine lebenden Skelette. Sie sind tot – sie sind…« Karin sprach nicht mehr weiter, da ihr die Worte fehlten, um das auszudrücken, was sie empfand. Will Mallmann schwieg ebenfalls. Was hätte er ihr auch groß erzählen sollen? Von anderen Welten – von Geistern und Dämonen? Von Mächten der Finsternis, von Asmodis oder dem Schwarzen Tod?
Karin hätte ihm sicherlich nicht geglaubt,
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