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0071 - Mit der letzten Kugel

0071 - Mit der letzten Kugel

Titel: 0071 - Mit der letzten Kugel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mit der letzten Kugel
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»Gleichgültig von welcher Zeitung. Aber die Redaktion muss davon unterrichtet werden, dass ich für sie den freien Mitarbeiter spielen werde.«
    »In Ordnung, Jerry. Ich regele das gleich selbst. Kümmern Sie sich inzwischen um den Anzug.«
    »Okay, Chef.«
    Ich ging in die Kleiderkammer und suchte mir etwas Passendes für einen gewölbten Leibesumfang aus. Als ich wieder zu Mister High kam, hielt er mir einen Ausweis unter die Nase, der bereits von der Stadt abgestempelt war. Nur die Spalten: tätig für und Lichtbild waren noch frei.
    »Gehen Sie rauf zur Lichtbildstelle«, sagte Mister High. »Die Kollegen werden Ihnen sofort ein Bild hineinpraktizieren mit Ihrem jetzigen Aussehen. Und dann tippen Sie als Ihre Beschäftigungsquelle die Times hinein. Ich habe schon mit der Redaktion telefoniert. Und vergessen Sie nicht, dass Sie jetzt George Lipes heißen.«
    Ich grinste.
    »Okay, Chef. Vielen Dank.«
    Mister High sah mich ernst an.
    »Versprechen Sie sich viel von diesem Theater, Jerry?«
    Ich zuckte die Achseln: »Das kann ich jetzt noch nicht sagen, Chef. Heute Mittag weiß ich mehr.«
    »Gut. Ich wünsche Ihnen jedenfalls vollen Erfolg.«
    »Danke.«
    Ich ließ die restlichen Dinge erledigen, holte mir aus unserer Waffenkammer, wo auch alle sonstigen Requisiten verwahrt werden, eine Reporter-Foto-Ausrüstung und zuckelte los. Nun würde es sich ja zeigen, was meine Maske wert war.
    ***
    Es war kurz vor elf, als ich in der Baker Street mit einem Leihwagen ankam, der nach mittlerem Einkommen aussah.
    Mein erster Besuch galt dem alten Mann mit der Nickelbrille. Wir unterhielten uns ungefähr eine halbe Stunde lang, dann verließ ich ihn wieder.
    Ich brauchte nur die Treppe um eine Etage hinabzusteigen, um in den Flur zu gelangen, in dem der Blinde wohnte. Ich wusste seine Apartmentnummer und klingelte.
    Er kam selbst an die Tür.
    »Ja, bitte?«, fragte er.
    »Ich bin George Lipes«, sagte ich. »Freier Mitarbeiter der New York Times. Könnte ich Sie mal einen Augenblick sprechen?«
    »Aber ja! Warum nicht? Kommen Sie doch bitte herein. Übrigens, mein Name ist Walt Freeman.«
    Um ein Haar hätte ich gesagt: Ich weiß. Im letzten Augenblick konnte ich es noch zurückhalten und dafür ein konventionelles »Angenehm«, murmeln. Er führte mich mit den etwas gezwungen wirkenden Schritten eines Blinden in ein behagliches Wohnzimmer und bat mich, in einem Sessel Platz zu nehmen.
    Er selbst setzte sich mir gegenüber. Offenbar trug er auch zu Hause seine dunkle Brille.
    »Was kann ich für Sie tun, Mister Lipes?«
    Ich erzählte ihm, dass ich an einer Artikelserie arbeitete über das Schicksal unserer Kriegsblinden, ob er mir vielleicht mit einigen Auskünften dienlich sein könnte. Er war sehr freundlich, betonte aber, dass er nur ungern über diese Sache spräche. Ich versprach, es so kurz wie möglich zu machen und stellte einige allgemeine Fragen, die er mir zögernd beantwortete. Als ich glaubte, der Form genug getan zu haben, tat ich, als wolle ich den Notizblock zurück in meine Brieftasche legen. Dabei rutschte mir »versehentlich«, der Presseausweis aus der Brieftasche heraus.
    Ich tat, als hätte ich es nicht bemerkt. Aber mit einem schnellen Seitenblick, den er nicht hätte bemerken können, auch wenn er nicht blind gewesen wäre, stellte ich fest, dass die Spitze des Ausweises links oben genau auf die Mitte eines kreisförmigen Schnörkels im Teppichmuster zeigte. Und der obere schmale Rand über meinem Foto lag zur Fensterseite hin.
    Ich verabschiedete mich, wurde höflich zur Tür geleitet und ging. Auf dem Bürgersteig vor dem Hause zog ich meine Brieftasche und tat so, als wollte ich etwas darin nachsehen. Bei der Gelegenheit fiel mir auf, dass mein Presseausweis nicht mehr vorhanden war. Ich spielte den Suchenden. Alle Taschen klopfte ich ab - natürlich vergebens.
    Einen Augenblick lang blieb ich unschlüssig stehen, dann drehte ich um und ging zurück.
    »Ja, bitte?«, fragte der Blinde wieder wie beim ersten Mal.
    Ich schnaufte, denn als Dicker glaubte ich mir das schuldig zu sein.
    »Entschuldigen Sie vielmals, Mister Freeman. Ich war gerade eben bei Ihnen, Lipes, der Reporter…«
    »Ich weiß«, lächelte Freeman. »Ich erkenne Sie an Ihrer Stimme. Haben Sie etwas vergessen?«
    »Ich bin nicht sicher«, sagte ich. »Ich vermisse meinen Presseausweis. Er könnte vielleicht herausgefallen sein, als ich meine Notizen wegsteckte…«
    Er trat beiseite.
    »Bitte, sehen Sie doch nach, Mister Lipes«,

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