0072 - Ich war kein Fraß für Tiger
»Komm!«
»Wohin?«
»Essen gehen.«
»Das ist alles?«, fragte ich enttäuscht.
Er lachte.
»No, du Draufgänger! Hinterher fahren wir natürlich zum Steve Private Zoo. Ich interessiere mich sehr für Tiger…«
***
Wir kauften zwei Eintrittskarten und erhielten eine kleine Broschüre dabei, die von der Gründung des Zoo durch einen wohltätigen Mann namens Steve erzählte und gleichzeitig ein Führer durch das Gelände des Tierparks war.
Es fiel uns nicht schwer, das Tigergehege zu finden. Man hatte eine kreisförmige Grube von fast dreißig Yards Durchmesser ausgebaggert auf etwa sechs Meter Tiefe. Landschaftsgärtner hatten dann darauf so etwas wie eine kleine Tropenlandschaft entstehen lassen. Es gab ein paar Dschungelbäume, Schlingpflanzen, einen Wasserlauf und eine Felsgruppe. Wie aus der Broschüre hervorging, wurde der ganze Boden elektrisch geheizt, sodass selbst an kälteren Tagen für die Tiger das erforderliche Klima zustande kam.
Natürlich achteten wir besonders auf die Brüstung. Sie reichte uns knapp bis zur Gürtellinie, und musste demnach gut einen Yard hoch sein. Obgleich wir sie einmal abschritten, konnten wir nirgends auch nur die kleinsten Anzeichen für einen verborgenen Mechanismus, eine Fallgrube oder irgendetwas anderes Heimtückisches finden.
Wir lehnten uns gelegentlich über die Brüstung, die aus einem einfachen Betonwall bestand, der volle sechs Meter senkrecht abfiel, und fanden auch auf der inneren Seite nichts Verdächtiges. Spuren des grausigen Unglücks waren natürlich nicht mehr zu sehen.
»Na, was sagst du dazu?«, fragte ich Phil, nachdem wir die Örtlichkeit geprüft hatten.
»Mein lieber Jerry«, erwiderte Phil ernst, »hier gibt es überhaupt nur drei Möglichkeiten für einen erwachsenen Menschen, über diese Brüstung zu stürzen.«
»Nämlich?«
Ich steckte mir eine Zigarette an und war gespannt, was Phil von der ganzen Sache hielt. Wenn er auch an Unfälle glaubte, war ich blamiert, denn immerhin hatte ich aus purer Neugierde in meiner Freizeit schon einige Hebel in Bewegung gesetzt, nur weil mich ein Zeitungsartikel beunruhigt hatte.
»Entweder«, begann Phil, »ist jemand so betrunken, dass er an der Brüstung das Gleichgewicht verliert und deshalb hinabstürzt.«
»Gut«, nickte ich. »Aber du wirst zugeben, dass man kaum so betrunkene Männer in einen Zoo lassen wird, bei denen Gefahr besteht, dass sie über eine Brüstung stürzen oder auch sonst irgendeinen Blödsinn anstellen.«
Phil grinste.
»Wenn du den Anschlag an der Kasse deutlicher gelesen hättest, Jerry, müsstest du wissen, dass Betrunkene überhaupt nicht in den Zoo gelassen werden.«
»Na also«, sagte ich. »Demnach scheidet diese Möglichkeit schon aus. Man kann sich allenfalls vorstellen, dass versehentlich doch mal ein Betrunkener hereingelassen wird. Dass er aber ausgerechnet zu den Tigern hinabstürzen soll, ist unwahrscheinlich, und noch viel unwahrscheinlicher ist, dass ein solches Versehen gleich wenige Tage hintereinander zweimal passiert. Auf zur zweiten Möglichkeit!«
»Die Zweite«, sagte Phil, »ist ganz einfach, dass jemand absichtlich dort hinabstürzt, weil er hinabstürzen will, verstehst du? Ich glaube zwar nicht, dass ein Selbstmordkandidat sich ausgerechnet auf diese Weise umbringen möchte, aber als Einzelfall mag es auch das geben. Dass aber in einer Woche zwei Männer auf den Gedanken kommen, Selbstmord zu begehen, indem sie sich selbst den Tigern zum Fraß vorwerfen, ist völlig unwahrscheinlich.«
»Ich bin der gleichen Meinung, Phil. Jetzt bleibt nur noch die dritte Möglichkeit. Wie sieht die aus?«
Phil sah sich um, ob niemand in der Nähe war. Erst als er sich davon überzeugt hatte, dass wir weder belauscht wurden noch zufällig gehört werden konnten, sagte er ernst: »Diese beiden Männer sind hierher gelockt und gewaltsam über die Brüstung gestoßen worden.«
»Also Mord?«, fragte ich ernst zurück.
Er nickte ein paarmal langsam und schwer.
»Genau«, sagte er leise. »Kaltblütiger, vorsätzlicher, brutaler Mord. Und deshalb wird wohl aus unserem freien Wochenende nicht allzu viel werden…«
***
Wir suchten das Verwaltungsgebäude des Zoos. In der Broschüre war es eingezeichnet und trug den Zusatz: Als siamesische Pagode gebaut 1904.
Na, auf solche verrückten Ideen konnte man wahrscheinlich auch nur vor fünfzig Jahren kommen, denn als wir die Bude sahen, wussten wir auf den ersten Blick, dass wir darin nicht hätten arbeiten
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