0073 - Die Insel der Zyklopen
sicheren Tod zu entrinnen.
Er packte den Fisch und versuchte den Widerhaken aus dem Maul zu ziehen. Das war gar nicht so einfach, denn der glitschige, schuppenbedeckte Leib rutschte ihm immer wieder aus der Hand.
Der Fisch kämpfte verzweifelt um sein Leben, wäßrige Glotzaugen stierten Jeff Milden so eindringend an, daß er plötzlich keine Freude an dem Fang verspürte. Er wußte nicht, ob er Angst, Abscheu oder bloß Mitleid empfand.
Wütend schleuderte er den Fisch gegen die Holzplanke, bis er sich nicht mehr regte, doch der glotzende Blick blieb, verfolgte den jungen Studenten, der den Schock vor einigen Tagen noch immer nicht ganz verdaut hatte.
Unwillkürlich dachte er an seinen Freund, Dan Kilroy! Hatte nicht auch er ihn so angestarrt, als er am Boden gelegen und den letzten, vernichtenden Huftritt des Monsters erwartet hatte? Er ließ die Angel, die er noch immer verkrampft festgehalten hatte, sinken, wandte sich um.
Einige Yards hinter ihm entstand eine strudelartige Bewegung im Wasser, die nicht zu dem rhythmischen Schwingen der Wellen passen wollte.
Außerdem war da noch etwas, das Jeff Milden stutzig machte. Ein dunkler Schatten, knapp unterhalb der Oberfläche, der zuerst für einige Augenblicke verharrte, um dann auf das Boot zuzukommen.
Ein Fisch? Ein Hai? Aber doch nicht in dieser Bucht! Und dann in der Größe!
Der junge Student saß aufrecht in dem Fischerkahn, ohne sich zu bewegen.
Dann war plötzlich wieder der Gedanke an den Zentaur da!
Rakis! Vielleicht war es das Monster, das unter den Wellen auf ihn zuglitt!
Dieser Gedanke löschte alle anderen aus, versuchte das Gehirn zu lähmen. Mit einem Mal war da nur noch die grenzenlose Angst, die in Panik umschlug, wie der Wind in den Sturm.
Inzwischen war der Schatten lautlos näher geglitten. Er schien aus den Wellen tauchen zu wollen.
Mit einem heiseren Aufschrei griff Jeff Milden nach den Rudern, die in den Verankerungen am Bootrand hin und her schaukelten.
Hastig zog sie der junge Mann zu sich heran, legte sich in die Riemen.
Weg, weg, nur weg von hier! hämmerte es in ihm.
Es wurde ihm gar nicht bewußt, daß er die Paddel nicht gleichzeitig eintauchte, und so der Kahn links und rechts pendelte, sich schließlich im Kreis drehte.
Jetzt war der Schatten nur noch etwa zwanzig Yards entfernt.
In diesem Augenblick tauchte ein gräßlicher Schädel aus dem Wasser. Wilde, rollende Augen, dichte Mähne, breitgedrückte Nase, ein lippenloser Mund, grobes Pferdegebiß.
Rakis!
Die totale Panik überkam ihn wie eine heiße Welle, trieb ihm den Schweiß aus allen Poren, ließ den Pulsschlag rasen und das Blut in den Ohren wie einen Wasserfall rauschen.
Unaufhaltsam schwamm Rakis auf das schlingernde Ruderboot zu. Das erstandene Fabelwesen nahm sich gar nicht mehr die Mühe unterzutauchen, es war sich seiner Beute völlig sicher.
Milden wollte sich zur Ruhe zwingen, aber es blieb bei einem bloßen Versuch. Er riß nur noch verzweifelt und unkontrolliert, an den Ruderholmen, wodurch sich das alte, kleine Schiff nur noch mehr zu drehen begann.
Der Student vergrub die Zähne in der Unterlippe, bis sie zu bluten begann, und der warme, süßliche Saft einen schalen Geschmack im Mund hinterließ, aber er spürte keinen Schmerz.
»Neeiiiin!« brüllte Jeff Milden wie von Sinnen.
Der Zentaur heulte mordlustig auf. Eine Pranke schnellte durch die Luft, klatschte ins Wasser.
Eine Flutwelle überspülte das Ruderboot, füllte es mit salzigem Naß.
Der tote Fisch, den Milden gefangen hatte, klatschte dem Jungen ins Gesicht.
Und plötzlich waren da wieder die Augen! Jeffs wirrer, starrer Blick fraß sich an den trüben Glotzaugen fest, so als würde der Fisch ihn hypnotisieren.
Ein neuer Wasserschwall, der wie eine Springflut über den Kahn hereinbrach, riß den Fisch mit sich fort, spülte ihn über die Bordwand.
Milden ließ die Ruder los, als wären sie brennend heiß. Jäh kam er sich wie der Fisch vor, der noch wenige Minuten zuvor an der Angel gezappelt hatte. Genauso verzweifelt kämpfte er nun um sein Leben, und genauso sinnlos würde dieses Unterfangen sein.
Rakis hatte das Boot schon fast erreicht.
Der Student starrte die tödliche Erscheinung an. Es kam ihm so vor, als wären die blutunterlaufenen Augen verschwunden und hätten glasigen, unbeweglichen Fischaugen Platz gemacht.
Das war das Letzte, was Jeff von dem Monster sah, denn im nächsten Moment war es wieder untergetaucht, um zum vernichtenden Schlag gegen den hilflosen
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