007b - Duell mit den Ratten
viel wichtigeren Dingen. Er war überzeugt, daß die Frau hinter dem Direktionsfenster Irene Reuchlin gewesen war. Und vom ersten Moment an stand eines für ihn unumstößlich fest: Die Direktorin des Kollegium Isacaaron war die Frau auf dem Ölbild, das der unbekannte Künstler bei dem Trödler erstanden haue. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Dafür war die Übereinstimmung viel zu groß.
Diese Erkenntnis überwältigte Dorian. Sie ließ eine Reihe interessanter Schlußfolgerungen zu und zeigte Aspekte auf, die Dorian während der Fahrt nach London zu durchdenken hatte. Besagtes Damenporträt war an die zweihundert Jahre alt. Wenn es Irene Reuchlin darstellte – und davon war Dorian hundertprozentig überzeugt –, dann mußte sie mindestens ebenso alt sein. Und das wiederum bedeutete, daß sie eine Hexe war. Diese Erkenntnis bestätigte Cocos Vermutung. Aber etwas ganz anderes war für Dorian in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Er wußte, daß Dämonen in Abhängigkeit zu ihren Bildnissen gerieten. Das hieß mit anderen Worten, wenn mit dem Bild etwas passierte, dann erlitt der Dämon dasselbe Schicksal. Das war ein Grund, warum sich Dämonen weder malen noch fotografieren ließen. Ihre Bilder lebten nämlich ebenso wie sie. Es bestand eine unerklärliche Symbiose zwischen Bild und Person. Vernichtete man das Bild, dann starb auch der Dämon.
Dorian konnte sich vorstellen, welche Ängste Irene Reuchlin ausstand, falls sie wußte, daß dieses Bild von ihr existierte; und er war ziemlich sicher, daß es nicht ohne ihr Einverständnis gemalt worden war. Aber warum hatte sie sich überhaupt porträtieren lassen? Dafür konnte es nur eine Erklärung geben: Das Gemälde mußte entstanden sein, bevor sie erfahren hatte, daß sie eine Hexe war.
Dorian ärgerte sich jetzt, daß er es nicht gekauft hatte. Denn damit hätte er Irene Reuchlin nun in der Hand. Sie wäre ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Aber es war zu spät. Er konnte nur noch versuchen, den unbekannten Künstler zu finden und ihm das Bild abzujagen. Dorian wollte sofort nach seiner Rückkehr seine Leute ausschicken, um Namen und Adresse des Käufers herauszufinden. Wenn ihnen der Trödler nicht weiterhelfen konnte, würden sie sich in den Künstlerkreisen umhören müssen. Dorian mußte sich unbedingt in den Besitz des Bildes bringen, und er mußte es bald tun, denn die Narbe in Irene Reuchlins Gesicht kam sicher nicht von ungefähr. Er erinnerte sich an das Gespräch zwischen dem Trödler und dem Künstler, und daß dieser das Bild nur gekauft hatte, um es zu übermalen und ein eigenes Kunstwerk daraus zu machen. Ein einziger Pinselstrich hatte genügt, um diese häßliche Narbe in Irene Reuchlins Gesicht entstehen zu lassen. Was würde passieren, wenn der Maler das gesamte Porträt überpinselte? Das wäre der Tod der Hexe.
Nicht daß Dorian Mitleid mit ihr gehabt hätte. Aber wenn er sich in den Besitz des Bildes brachte, konnte sie ihm lebend sehr viel nützlicher sein. Mit dem Bild hätte er sie in der Hand – und er würde sie zu seiner Sklavin machen.
Dirk Rainer starrte die Öldame wie seinen Todfeind an.
»Ich werde dich zerstören!« sagte er leidenschaftlich. »Ich werde dein Gesicht durch ein Gitterwerk aus Weiß zerteilen. Auf deinen Brüsten werden sich schwarze Spiralen bis zum Schlüsselbein hinaufwinden. Deine Haare werden zu Schlangen werden und dein Haupt krönen wie das der Medusa. Deinen Körper wird ein roter Blitz spalten. Und deine Hände – ja, deine Hände werden ebenfalls ein rotes Feuermal bekommen. Rot ist die Farbe des Hasses.«
Er rührte seinen breiten Pinsel im Scharlachrot, da läutete es an der Tür. Zornig warf er die Palette weg und ging, bei jedem Schritt wütend aufstampfend, um zu öffnen. Draußen stand seine Freundin.
»Verschwinde!« fauchte er sie an und schlug ihr die Tür vor der Nase zu.
Wenn sie noch einmal klingelte, würde er ihr eine runterhauen. Das verfehlte seine Wirkung bestimmt nicht. Aber es vergingen Minuten, und die Türglocke schlug nicht mehr an. Dirk Rainer entspannte sich. Er schloß die Augen und machte mit den Händen Greifbewegungen. Plötzlich gab er einen unartikulierten Laut von sich, ergriff die Palette und malte der Öldame scharlachrote Stigmata auf beide Handrücken.
Als Coco die gewünschte Aufstellung bei Mrs. Reuchlin ablieferte, stellte Coco zu ihrer Überraschung fest, daß die Direktorin Handschuhe trug, aber sie ließ sich nichts anmerken.
»Was wollte der
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