008 - Der schlafende König
dem Rücken einer anderen Riesenheuschrecke neben ihm her trabte. Achmaz war ein kräftiger Kerl mit grobporiger Haut, zahlreichen Narben und einer in einem Vollbart endenden brünetten Mähne, die schon die ersten Silberstreifen zeigte. Um seine Stirn war ein rotes Band geschlungen und zwischen seinen Zähnen klemmte eine dünne schwarze Zigarre. Er erinnerte irgendwie an den alten Douglas Fairbanks in dem Stummfilm Der schwarze Pirat. Im Gegensatz zu seinen leicht schlitzäugigen, in Leder und weiße Turbane gekleideten Begleitern hatte er in seiner nördlichen Heimat eine gewisse Bildung genossen und zahlreiche Länder bereist zum Beispiel Ruland und Cinna im Osten. Auch in Arba, das weit im Süden lag, war er schon gewesen.
Seine letzte Reise hatte ihn nach Tuurk geführt, von dem Matt vermutete, dass es sich um die frühere Türkei handelte. Aus Tuurk stammten auch Achmaz' Begleiter und deren zwei Frauen. Er hatte Öle, Tücher, Spezereien und viele Zentner Kiff erstanden. Kiff war bei den hohen Herren und Damen seiner Heimat sehr begehrt, denn es machte die Menschen, die es rauchten, entspannt und fröhlich. Matt hatte nicht lange gebraucht, um in Erfahrung zu bringen, um was es sich bei diesem Kiff handelte. Auch er war als junger Spund neuen Erfahrungen stets aufgeschlossen gewesen.
Die aus zehn Frekkeuschern bestehende Karawane machte trotz der Dunkelheit ein gutes Tempo, auch wenn die Tiere neben der schweren Ladung noch jeweils zwei Reiter trugen. Bevor der Weg sie nach Norden führte, wollte Achmaz in einem Ort namens Züri einen Zwischenhalt machen. Deshalb hatte er auch die alte Karawanenstraße durch die Steppe genommen.
»Ist es noch weit?« fragte Matt.
Achmaz schüttelte den Kopf. »Morgen Abend sind wir da.«
»Hat sich die Abkürzung bezahlt gemacht?«
»Gewiss«, sagte Achmaz. »Meine braven Tuurka sind zwar nicht sehr erbaut, dass wir die alte Straße nehmen, aber wir sparen eine ganze Woche Zeit.« Er lachte amüsiert. »Sie sind abergläubisch. Sie fürchten sich vor irgendwelchen Steppengespenstern, von denen ihre Großväter berichtet haben. Aber ich will mich eher mit Orguudoo raufen als die Kosten für eine Woche zu tragen.«
Als kultivierter Mensch aus dem Norden war Achmaz nicht geneigt, an Dämonen wie Orguudoo zu glauben. Wie er ausführte, hatte es eine heftige Diskussion zwischen ihm und den Tuurka gegeben. Sie hatten in ihrer blumigen Sprache von bösen Geistern geredet, die in der Steppe lebten und natürlich auch vom üblichen
»namenlosen Schrecken«, der Tod und Verdammnis über die Menschen brachte.
Eine konkrete Gefahr hatten sie freilich nicht nennen können sie kannten den »namenlosen Schrecken« nur von ihren Ahnen, die sich vor Generationen in das bergige Land der Suizzani vorgewagt hatten. Aber Achmaz war nun mal der Herr dieser Karawane. Er bezahlte die Tuurka, und so hatte er sich schließlich gegen sie durchgesetzt.
Dennoch wirkten seine Leute angespannt.
Matt fiel auf, dass sie die Hände nicht von ihren krummen Säbeln nahmen und ständig Ausschau hielten. Er fragte sich, ob ihre Ängste vielleicht berechtigt waren. Er hatte in den Monaten seines Hierseins viel erlebt und war auf eine bestürzende Anzahl mutierter Lebewesen gestoßen, die es nicht gut mit den Menschen meinten.
Matt zweifelte nicht daran, dass der Auslöser für die vielen Veränderungen im Jahr 2012 lag: Damals hatte der acht Kilometer durchmessende Komet »Christopher-Floyd« den Untergang der alten Zivilisation eingeläutet. Er hatte eine unbekannte Strahlung ausgesandt und war im asiatischen Raum mit der Erde kollidiert. Matt mutmaßte, dass er China und einen Großteil Russlands vernichtet hatte. Die hoch in die Luft gewirbelten Erdmassen mussten den Planeten lange Zeit wie eine Dunstglocke umhüllt haben. Wahrscheinlich war dem Desaster eine Eiszeit gefolgt, die die Menschheit in die Barbarei zurückgeworfen hatte. Der Kampf ums Überleben hatte alles dominiert.
Die Insekten und Ratten schienen die Katastrophe am besten überstanden zu haben, denn sie waren zu den dominierenden Spezies aufgestiegen, während die Menschheit degeneriert war viel mehr, als es eigentlich möglich gewesen wäre. Wie lange die Eiszeit gedauert hatte, entzog sich Matts Kenntnis, aber es mussten Jahrhunderte sein. Die klimatischen und geografischen Veränderungen, die er bisher erlebt hatte, deuteten zudem an, dass die Pole anders lagen als früher.
Die Karawane hielt an. Matt und Aruula reckten die
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