008 - Hexenbalg
weiter. Der ekelhafte Geruch wurde immer intensiver. In ihrem Kopf drehte sich alles. Rasendes Herzklopfen stellte sich ein.
Endlich fand sie ein leeres Zimmer. Sie trat ein und riss das Fenster auf. Das alles erinnerte sie stark an eine andere Nacht und an ein anderes Treppenhaus, in dem dieser Geruch sie auch verfolgt hatte. Beth ließ sich auf das kühle Bett sinken und schloss die Augen.
Ja, Entspannung und Ruhe. Dann würde alles leichter sein. Sie knipste das Licht aus und empfand die Dunkelheit beruhigend, obwohl sie den Geruch noch immer spürte.
Im Schlaf hörte sie Stöhnen und Geheule aus der Echokammer. Sie zog sich ein Kissen über den Kopf und schlief weiter.
Dann war Stille. Sie setzte sich auf und lauschte. Die Kopfschmerzen waren vergangen. Auch der Geruch hatte sich verflüchtigt. Draußen hatte leichter Regen eingesetzt, und die Luft wehte kühl und frisch herein.
Beth war selig. Sie war nicht davongelaufen. Sie hatte gewonnen und fühlte sich herrlich. Sie machte sich rasch zurecht und lief hinunter.
Linda kam ihr mit Ramon entgegen. »Ich stelle eben die Gruppe für das Medium zusammen. Ein Teilnehmer fehlt noch. Möchten Sie mitmachen?«
»Nein, ich bin auf der Suche nach Marq.«
»Ach, der tanzt eben mit Lady Godiva. Die hat ihn völlig mit Beschlag belegt. So kommen Sie schon! Es ist die letzte Sitzung. Alle behaupten, das Medium wäre einzigartig. Diesmal möchte ich selbst dabei sein.«
»Na schön«, sagte Beth. Es war ja nur ein Spiel. Warum sollte sie es sich entgehen lassen, wenn alle anderen so begeistert taten. Sie hatte den Geruch ausgehalten und würde auch dem Medium tapfer gegenübertreten. Von ihrem Sieg über die Furchtsamkeit zum Leichtsinn verleitet, folgte sie Linda in den Seance-Raum.
Ihr Selbstvertrauen wurde leicht erschüttert, als sie Mrs. Hillburton in der Gruppe erspähte. Lindas Mutter bedachte sie mit einem eisigen Blick und flüsterte ihr im Vorbeigehen zu: »Ich habe das Kleid eingepackt. Es ist im Schrank neben der Tür des Ankleidezimmers. Diesmal nehmen Sie es bitte mit.«
Beth nickte verlegen. Die Röte war ihr ins Gesicht gestiegen. Sie setzte sich auf den Stuhl neben Linda und war froh, als es finster wurde und niemand ihre Beklommenheit sehen konnte.
Ja, es war ganz finster. Der von der Kristallkugel ausgehende Schimmer tauchte nur das Gesicht des Mediums in ein vages Licht. Linda war entzückt, als man entschied, es solle Kontakt mit der ägyptischen Königin Nofretete hergestellt werden.
»Oh, uralter Geist der Nofretete …«
Linda kicherte. Ein strenger Blick des Mediums brachte sie zum Schweigen. »Ich bitte um Entschuldigung«, brachte sie hervor. »Jetzt werde ich mich konzentrieren.«
»Oh, uralter Geist der Nofretete, Gemahlin des großen Pharao, Nofretete, die du in Schönheit in den Tempeln des Nil gewandelt! Im Namen des Sonnengottes, im Namen des bösen Set und seines Bruders Osiris, Gottes der Unterwelt und Richter der Toten. Komm und sprich zu uns!«
Das Medium wiegte sich auf seinem Stuhl hin und her und hielt dabei die Augen geschlossen. Aus einer entfernten Ecke des Raumes kam ein leises, schreckliches Jaulen.
»Der Schrei der heiligen ägyptischen Katze! Ein Zeichen!«
Linda umklammerte Beths Hand. »Nicht zu glauben. Sie muss die Stimme verstellt haben.«
Das Medium öffnete die Augen und verkündete: »Ich spüre eine Gegenwart. Jemand will kommen.« Sie stand im Begriff, in Trance zu verfallen.
In ihrem Gesicht spielte sich eine erstaunliche Verwandlung ab. Jeglicher persönliche Ausdruck verschwand, die Augen starrten leer und glanzlos vor sich hin. Das Medium war wie ein leeres Blatt Papier, auf das der sich nähernde Geist seine Zeichen schreiben sollte. Als sie wieder zu sprechen begann, erwarteten alle die Stimme der längst verblichenen Nofretete.
Stattdessen stand höchstes Entsetzen in ihren Zügen. So ausgeprägt und plötzlich, dass alle Teilnehmer der Seance erschraken. Dann kam der Schrei des Mediums: »Tod! Ich sehe Tod! Die Lichter an!«
Ein Durcheinander entstand. Jemand schrie, einige lachten. Das Licht flammte auf. Alle waren von ihren Sitzen gesprungen. Alle – bis auf eine.
»Mutter!« rief Linda. Mrs. Hillburton war an ihrem Platz mit einem Ausdruck gequälter Verwunderung zusammengesunken.
Ihre Haltung ließ keinen Zweifel aufkommen. Sie war tot.
23
Ein Mädchen, das sich als Mona Lisa verkleidet hatte, sagte immer wieder: »Wie konnte sie das nur sehen? Ich dachte, sie
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