0080 - Augen des Grauens
einnahm.
Leer war der Saal nicht.
Ein langer Tisch stand in der Mitte, dekoriert an beiden Längsseiten mit hochlehnigen Holzstühlen, die allesamt besetzt waren. Auf jeder Seite saßen acht Menschen.
Also sechzehn Personen insgesamt.
Es waren nicht nur Männer. Sheila sah auch Frauen. Junge, ältere, häßliche und schöne.
Zwei Dinge wiesen alle Personen gemeinsam auf.
Erstens trugen sie die gleiche dunkelblaue Kleidung. Gewebt aus einem rauhen Stoff. Die Frauen als Kittel, die Männer als Jacke und Hose.
Wie früher der Mao-Look.
Und noch eine Gemeinsamkeit gab es zwischen den Paaren.
Sie alle waren blind.
Sie hatten natürlich gehört, daß die Tür geöffnet wurde und wandten wie auf Kommando ihre Köpfe.
Zweiunddreißig Augenpaare richteten sich auf Sheila Conolly. Von normalen Augen konnte man allerdings bei ihnen nicht sprechen, denn das Weiße der Augäpfel füllte die Höhlen gänzlich aus.
»Wir haben eine Neue!« meldete Ada.
Sie und Sheila waren stehengeblieben.
Und jetzt erhoben sich die Blinden. Es geschah so, als hätte ihnen jemand einen geheimen Befehl gegeben. Sie stützten sich auf ihre neben ihnen stehenden reißen Stöcke und begaben sich so in die Senkrechte.
Sie starrten Sheila an.
Gesichter verzogen sich. Manche lächelten, andere wiederum wurden zu Fratzen. Und all das geschah in einer nahezu gespenstischen Lautlosigkeit.
Ada kicherte. »Merkst du nicht, wie sehr sie sich freuen?« zischelte sie.
Sheila nickte. Sie tat dies automatisch, ohne überhaupt den Sinn der Worte begriffen zu haben.
»Wie fühlst du dich in deiner neuen Heimat?« erkundigte sich Ada.
»Gut.«
»Schön. Dann wirst du bald vollends zu uns gehören, denn man wartet bereits auf dich. Der Kreis soll geschlossen werden. Wir sind sechzehn Personen, du wirst die siebzehnte sein.«
Sheila nickte.
Ada wandte sich an die Blinden. »Setzt euch wieder hin!«
Sie gehorchten.
Dieser Vorgang lief nicht so lautlos über die Bühne. Stühle wurden gerückt, Hände fielen auf die Tischplatte es wurde ruhig.
Ada war zufrieden. Sie legte eine Hand auf Sheilas Schulter. Bills Frau gab dem Druck nach, und Ada führte sie zu einem der Fenster, von wo aus sie in den Hof schauen konnte.
Da unten stand noch ihr Wagen.
»Brauchst du ihn?« fragte Ada.
»Nein.«
»Gut, dann kann jemand den Mercedes wegfahren.«
»Ich habe nichts dagegen.«
Schon allein an dieser Antwort war zu erkennen, wie sehr Sheila unter dem Einfluß der anderen stand. Sonst hätte sie es nie zugelassen, daß sich jemand an ihrem perlweißen 350er SLC zu schaffen machte.
Ada war zufrieden.
Sheila durfte sich wieder umdrehen.
Ada sagte: »Bald wirst du ein vollwertiges Mitglied des Syndikats der toten Augen sein, aber zuvor mußt du noch eine Probe bestehen. Ich will dir etwas zeigen.« Ada klatschte in die Hände, und wie von Geisterhand bewegt, fuhr der Vorhang in der Mitte auseinander.
Er gab eine Bühne frei und präsentierte Sheila Conolly ein schauriges Bild…
***
Ich war buchstäblich durch London gerast, denn Bill wohnte ziemlich weit südlich, direkt an der Stadtgrenze. Sein Bungalow lag auf einem künstlich angeschütteten Hügel, mit viel Garten drum herum und war mit allem Komfort ausgestattet. Bill konnte es sich leisten, er hatte reich geheiratet.
Und doch quälten ihn Probleme. Vielleicht mehr als die anderen Menschen.
Seine Frau, mit der er bisher eine tadellose Ehe geführt hatte, hatte ihn verlassen.
Unverständlich für mich. In Sheilas Innern mußte es wirklich eine einschneidende Veränderung gegeben haben, weshalb sie so reagiert hatte.
Und dieser Veränderung mußte ich auf die Spur kommen.
Das Haus lag in einer ruhigen Seitenstraße, deren Fahrbahn von hohen Bäumen umsäumt wurde.
Das Tor zum Grundstück stand offen. Ich zog den Bentley in die Kurve, und schon bald mahlten die Reifen durch den feinen Kies, zerdrückten ihn oder feuerten ihn nach allen Seiten weg.
Die Beleuchtung brannte. Normalerweise kam mir das Licht romantisch vor, aber jetzt erinnerte es mich an den kalten Schein einer Totenbeleuchtung.
Die Anwesenden hatten mich kommen gehört. Als ich meinen Wagen neben Janes alten, frisierten VW abstellte, rannte die Detektivin bereits aus dem Haus.
Sie fiel mir in die Arme, als ich ausstieg.
»Wie gut, daß du da bist«, flüsterte sie. »Bill ist völlig verzweifelt.«
»Und was macht der Kleine?« fragte ich rauh.
»Er schläft jetzt, aber über eine Stunde hat er nur nach seiner Mummy
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