0080 - Augen des Grauens
Tiefe des Alls. Wie ein Raumschiff, das Kurs auf die Erde nimmt.
Doch Sheila sah nicht das Funkeln eines Sterns oder einer Sonne. Der Tunnel zeigte nur die Schwärze der Verdammnis.
Dann teilte sich der Gegenstand in zwei gleich große Hälften, und plötzlich erkannte Sheila Conolly, was diese Hälften darstellten.
Zwei Augen.
Keine toten Augen, sondern lebende, sehende und auch zeigende. Übergroß präsentierten sich die Pupillen, und in ihnen erkannte Sheila schreckliche Szenen.
Das eine Auge zeigte ihr in seiner Pupille einen Galgen. Es war ein altes Holzgerüst, und neben dem Galgen stand ein Henker. Er trug eine dunkelrote Kutte, hatte eine Kapuze über den Kopf gezogen und hielt ein Richtbeil in der Hand.
Die andere Pupille zeigte einen uralten Totenacker, auf dem windschiefe Grabsteine standen, über die kahle Zweige ein knorriges Dach ausgebreitet hatten.
»Es ist der Friedhof am Ende der Welt!« hauchte Ada. »Wer ihn betritt, ist ein für allemal verloren!«
Sheila Conolly erwiderte nichts. Sie schaute nur auf die beiden Augen, die immer größer wurden, sich an den Enden berührten und dann zusammenschmolzen, um anschließend wie eine Sonne zu explodieren. Kein Ton war zu hören, aber diese Stille war es, die Sheila so in ihren Bann zog.
Dann war das Bild verschwunden. Zurück blieb die grausame Schwärze einer ewigen Nacht.
Langsam schloß sich der Vorhang.
Sheila erwachte wie aus einem tiefen Traum.
»Nun, hat es dir gefallen?« fragte Ada lauernd.
»Ja, gut sogar.«
»Könntest du dir vorstellen, dort zu sein?«
Sheila nickte.
»Möchtest du das wirklich? Hast du tatsächlich den Wunsch, in dieser für dich fremden Welt zu leben?«
Abermals bejahte Sheila.
»Dann soll es so sein. Aber«, und jetzt hob Ada ihren Zeigefinger. »Es ist nicht so einfach, wie du denkst. Du mußt viel dafür geben, Sheila.«
»Ich gebe alles«, erwiderte Bills Frau.
Ada zögerte, bevor sie die letzte Frage stellte. »Bist du auch bereit, dein Leben zu geben?«
Die Antwort kam prompt und beruhigte die Frau. »Ich bin dazu bereit!«
***
Ich schlief nicht zum ersten Mal bei den Conollys, das Zimmer war mir nicht fremd. Es befanden sich mehrere Gästezimmer innerhalb des Bungalows, und sie lagen im Keller. Allerdings war das Haus an einem Hang gebaut worden, und so fiel das Tageslicht auch in die Kellerzimmer.
Jeder Raum besaß eine Dusche und eine Toilette. Bill und Sheila hatten sich wirklich Mühe gegeben.
Ich gähnte, als ich mein Zimmer betrat. Dabei war ich nicht müde. Wie ich mich kannte, würde ich vorerst sowieso nicht einschlafen können. Ich schlüpfte aus meinem Jackett und hängte es an den Schrank. Die anderen Kleidungsstücke folgten, und als ich dann pudelnackt dastand, hüpfte ich noch einmal unter die Dusche.
Fünf Minuten später war ich abgetrocknet und lag im Bett.
Es war nicht völlig dunkel im Raum. Rechts von mir befand sich das Fenster, durch das ich in den Garten schauen konnte. Ich aber lag auf dem Rücken, hatte die Hände unter dem Kopf verschränkt und starrte gegen die Decke.
Meine Gedanken drehten sich dabei um den letzten Fall und natürlich auch um Sheila Conolly.
Ich fragte mich, wo sie jetzt steckte; Hielt man sie in irgendeinem Verlies gefangen? Aber warum? Wieso hatten all die Ereignisse stattgefunden. Der Selbstmord, Sheilas plötzliches Davonlaufen irgendwo mußte es eine Verbindung geben.
War sie das Blindenheim?
Fand ich dort vielleicht eine Spur?
Ich glaubte fest daran. Janes Idee war gar nicht schlecht gewesen.
Die Detektivin schlief auch hier. Allerdings ein Zimmer weiter. Um mit ihr die Nacht in einem Raum zu verbringen, dazu waren wir wohl beide nicht in Stimmung. Man sollte immer die Kirche im Dorf lassen.
Ich versuchte einzuschlafen, es wurde nichts daraus. Zu sehr quälten mich die Gedanken, die Sorge um Sheila. Doch die Natur forderte ihr Recht. Irgendwann fiel ich in einen leichten Schlummer. Es war kein Tiefschlaf, sondern ein Dahindämmern. Man hört, was um einen, herum vorgeht, ist aber zu faul aufzustehen und nachzusehen.
Ich merkte nicht, daß etwas mit meinem Beutestück geschah.
Das Auge bewegte sich!
Ich hatte es in meine Außentasche gesteckt und gar nicht mehr daran gedacht.
Während ich auf dem Gästebett lag und eingeschlafen war, wurde der Stoff der Tasche von innen bewegt. Er bildete an der Längsseite eine senkrechte Falte, und wie von unsichtbaren Händen geführt, glitt das Auge hoch, dem Taschenrand entgegen.
Es wollte
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