0081 - Ich galt als Verräter
sprechen.«
»Mr. Garren ist oben in der Kantine, um einen kleinen Imbiß einzunehmen. Wenn sie so lange warten wollen?«
»Wo ist die Kantine?«
»Auf dem Dachgarten. Aber Mr. Garren hat es nicht gern, wenn er beim Essen gestört wird!«
»Macht nichts«, sagte ich. »Ich störe auch nicht gern andere Leute, wenn sie gerade essen. Aber es muß sein.«
»Soll ich Sie anmelden?«
Sie griff bereits zum Hörer des Haustelefons.
Ich winkte ab.
»Nicht nötig. Besorge ich alles selbst.« Ich winkte ihr zu und verließ das Büro. Mit dem Schnellaufzug fuhr ich hinauf bis zum 40. Stock, 'dort stieg ich um und ließ mich die restlichen sechs Etagen bis zum Dachgarten von einem langsameren Lift emportragen.
Auf dem flachen Dach war ein hübscher Garten eingerichtet mit Blumenbeeten und sogar einigen jungen Birken. Die Steel Unit ließ sich die Schönheit ihrer Arbeitsräume und -gebäude tatsächlich etwas kosten.
Mitten in dem kleinen Garten stand eine Art Treibhaus, durch dessen hohe Glasfronten man weißgedeckte Tische und üppige Schaumgummisessel erkennen konnte.
An einem der Tische, allein, wie es sich für einen großen Boß gehört, saß John Garren. Ich tippte ihm von hinten auf die Schulter, als er sich gerade mit dem Zerlegen eines Hähnchens beschäftigte.
»Hallo, Cotton!« schnaufte er und deutete auf einen Sessel. »Lassen Sie sich nieder! Stört es Sie, wenn ich weiteresse? Ich habe heute nicht einmal Zeit, zum Essen nach Hause zu fahren, und um zwei Uhr ist schon wieder eine Konferenz.«
»Essen Sie ruhig weiter!« sagte ich. Ich habe Verständnis für Leute, die wenig Zeit haben, denn ich kenne solche Situationen aus eigener Erfahrung gut genug. »Schon gegessen?« brummte Garren. Ich schüttelte den Kopf.
»Hähnchen richtig?« fragte er weiter in seiner kurzen Art.
Ich nickte.
Garren schnippte nur mit den erhobenen Fingern. Ein paar Sekunden später stand bereits ein duftendes Hähnchen vor mir. Grinsend machte ich mich darüber her.
»Was haben Sie auf dem Herzen?« erkundigte sich Garren, ohne sich vom Kauen abhalten zu lassen.
»Haben Sie den Umschlag noch, in dem Sie den bewußten Brief bekamen?«
»No. In den Papierkorb geworfen. Der ist inzwischen bestimmt schon gesäubert worden. Keine Aussicht, den Umschlag noch aufzutreiben.«
»Schade«, sagte ich.
»Aber ich habe eine andere Neuigkeit für Sie«, schnaufte der Manager.
»Ja?«
»Jawohl! Mich rief ein Idiot an! Sagte mir, daß man beweisen wolle, was man könne. Deshalb würde man heute nacht die kleine Wetterinsel vor der Küste wegpusten.«
»Was?«
Mir blieb vor Schreck der Bissen im Hals stecken. Garren kaute unerschüttert weiter.
»Ja. Die Insel, auf der die Wetterfrösche ihre kleine Station haben. Der Kerl muß völlig verrückt sein.«
»Sie meinen die kleine Wetterstation vor Long Island?«
»Ja, ja, sicher, die meinte er.«
»Sagte er eine genaue Zeit?«
»Ja. Zwölf Uhr. Punkt Mitternacht soll die kleine Insel weggepustet werden. Wie gesagt, total verrückt der Mann. Total! Er glaubte wohl, ich würde nun wirklich Himmel und Hölle mobil machen! Als ob ich blöd wäre, mich so zu blamieren!« Garren kaute und schien mit sich, dem Hähnchen und der ganzen Welt sehr zufrieden zu sein. Ich konnte es nicht von mir behaupten.
Als ich mein Hähnchen aufgegessen hatte, wollte ich zahlen. Garren wehrte ab.
»Geht alles auf Kosten der Firma«, sagte er. »Essen wird hier nur umsonst ausgegeben.«
Ich sah ihn an. Sollte das ein Witz sein?
»Man muß was tun in sozialer Hinsicht«, schnaufte er. »Die Konkurrenz bietet ihren Leuten auch was. Naja, und schließlich kann man so etwas ja von der Steuer abschreiben…«
Ich grinste.
»Daß unser Staat nicht schon längst pleite ist, wundert mich aber. Alle Welt lebt nur noch vom Abschreiben.«
Ich verabschiedete mich und fuhr mit dem Lift hinab. Es war kurz vor drei Uhr, als ich das Gebäude verließ. Bis Mitternacht blieben mir also nur noch knappe neun Stunden.
***
Um halb sechs nachmittags brach Phil seine Arbeit in der 98. Straße Ost ab. Er fuhr zurück zum Distriktgebäude. Bevor er sich zu irgendeinem schärferen Vorgehen entschloß, wollte er die ganze Geschichte noch mit Mr. High durchsprechen.
Im Flur traf er mich.
»Sieh an!« staunte er. »Du lebst noch? Kaum zu glauben!«
Es sollte natürlich eine Spitze gegen mich sein, weil ich mich den ganzen Tag über nicht bei ihm gemeldet hatte. Ich wollte ihm gerade von meinen Erlebnissen erzählen, da
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