0084 - Das Buch der grausamen Träume
begann der Zwerg zu lachen. Diesmal kichernd und hohl. Es hörte sich so an, als würde er in einen Eimer lachen.
Ich warf Suko einen Blick zu. Die Reaktion des Zwergs ließ Böses ahnen.
Der Chinese hob nur die Schultern. Wie ich, so schaute auch er über den Kopf des Bürgermeisters hinweg. Es hatte sich nichts verändert. Nach wie vor war kein einziges weibliches Wesen innerhalb des Ortes zu sehen. Leer und verlassen lagen die vom Marktplatz ausgehenden Straßen. Dunstschleier trieben wie Fahnen hindurch. Sie brachten Feuchtigkeit und Kühle vom nahen Sumpf mit.
Mir fiel wieder auf, daß keine Kirche vorhanden war. Das bestärkte mich in dem Verdacht, daß die Menschen hier mit den Mächten der Finsternis paktierten. Wir hatten voll in ein Wespennest gestochen.
Der Bürgermeister unterhielt sich mit seinen Leuten. Was sie sprachen, konnte ich nicht verstehen, denn sie redeten Dialekt und ziemlich schnell.
Schließlich nickte der Zwerg. Er bewegte dabei seinen Kopf so heftig, daß man meinen konnte, er würde ihm von den Schultern fallen. Sein langer Zeigefinger schnellte vor und wies einmal auf Suko, dann auf mich. »Schafft sie weg!« befahl er.
Das ließen sich die Kerle nicht zweimal sagen. Vier starke Burschen stürzten sich auf uns. Wir wurden gepackt, herumgedreht und auf eine schmale Gasse zugeschoben. Der Zwerg überholte uns. Er schritt an der Spitze, während die anderen im Gänsemarsch folgten.
Die Gasse war ziemlich eng. Das zum Teil zerstörte Pflaster bildete regelrechte Stolperfallen. Je weiter wir gingen, um so mehr nahm ich den modrigen Sumpfgeruch wahr. Aber auch das Gluckern und leise Rauschen eines Flusses hörte ich. Horlin lag an einem Gewässer. Der Fluß mußte, wenn man der Karte glauben durfte, irgendwo im Sumpf entspringen, wand sich in vielen Kehren durch das Land und versickerte irgendwo. Die Männer dirigierten uns zu einem alten, schmalbrüstigen Haus. Dort blieben wir erst einmal stehen. Ich ließ meine Blicke an der Fassade entlanggleiten und war nicht gerade begeistert. Das Haus sah baufällig aus. Die Fenster neben der Holztür waren mit Brettern vernagelt. Nur in der ersten Etage sah ich blinde Scheiben in den Rahmen. Der Zwerg schloß auf.
Mit Stößen wurden wir in einen engen, muffigen Flur getrieben und dann weiter bis zu einer Steintreppe, die in den Keller führte. Ich erhielt einen Schlag und segelte die Stufen hinunter. Mit dieser Reaktion hatte ich gerechnet, so daß ich mich bereits vor dem Aufprall zusammenrollte und dem Fall somit die größte Wirkung nahm. Heil kam ich unten an. Wie auch Suko. Nur fiel er auf mich. »He, sei ein bißchen vorsichtiger.«
»Sorry, aber ich wollte weich landen«, erwiderte mein Partner. Wir erhoben uns. Auch mit gefesselten Rinden schafften wir dies leicht. Eine reine Übungssache.
Der Zwerg stieg die Treppe herunter. Jemand hatte zwei Kerzen angezündet, deren Flammen die unterirdischen Räume in geisterhaft zuckendes Licht tauchten.
Der Bürgermeister war wohl der einzige, der aufrecht stehen konnte. Suko und ich mußten den Kopf einziehen. Ich noch wesentlich mehr als der Chinese.
»Und wie geht es weiter?« sprach ich den Bürgermeister an.
»Ich warte hier so lange, bis ihr an der Reihe seid«, gab er mir zur Antwort.
»Was habt ihr mit uns vor?«
»Wir nichts, aber Ziita.« Ich stutzte.
»Wer ist Ziita?«
Der Zwerg lachte. »Keine Sorge, du wirst sie noch früh genug kennenlernen.«
»Und was ist mit dem Buch?«
Der Zwerg schüttelte seinen großen Kopf. »Das werdet ihr niemals sehen.« Der Bürgermeister rieb sich abermals die Kinde. »So unschuldig, wie du mir weismachen wolltest, seid ihr gar nicht. Du weißt schließlich von dem Buch.«
»Das gebe ich zu!« erwiderte ich lächelnd. »Leider weiß ich nicht genug. Was steht darin?«
Der Zwerg schaute mich lauernd an. »Es ist das Buch der grausamen Träume.«
»Wer hat es geschrieben?«
»Einer der Urdämonen. Mehr brauchst du nicht zu wissen.« Ich war noch nicht fertig. »Steht etwas über den Schwarzen Tod in diesem Buch?«
»Nichts mehr!« zischelte der Zwerg. Er deutete auf eine Tür. »Los, rein mit ihnen!« befahl er seinen Männern. Es wurde aufgeschlossen. Quietschend öffnete sich eine Eisentür. Eine muffige, sehr feuchte Luft schlug uns entgegen.
Einer der Kerzenträger leuchtete in das Verlies hinein.
Ich schluckte.
Der Raum war noch niedriger als der normale Keller. Trotzdem konnten wir aufrecht stehen, weil der Boden ausgeschachtet
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