0084 - Das Buch der grausamen Träume
Sukos spöttische Stimme. Ich versuchte mich aufzurichten. Das war unmöglich. Drahtfesseln hielten meine Hände und Füße. Auch das noch.
Ich wollte dem Chinesen eine Antwort geben, verkniff sie mir aber, da ich einen Stoß erhielt, dessen Folgen für meinen Schädel äußerst schmerzhaft waren.
Der Stoß rührte von einem Schlagloch her, durch das ein Wagen gefahren war. Unser Bentley.
Ja, Sie haben richtig gelesen. Suko und ich lagen im Fond meines Wagens. Gefesselt mit diesen verdammten Drähten. Das Metall schnitt schmerzhaft ins Fleisch.
Und vor uns hockten zwei Männer. Es gelang mir, den Kopf ein wenig zu heben, so daß ich den Fahrer im Profil erkennen konnte. Es war der Knochige.
Ich ließ mich wieder zurücksinken. »Mist!« sagte ich voller Überzeugung.
Suko lachte spöttisch. »Kann mich nicht erinnern, daß man uns jemals so schnell aus dem Verkehr gezogen hat.« Da hatte der Chinese völlig recht. Wir waren wie Anfänger in die Falle gelaufen. Aber es war unmöglich gewesen, gegen die Übermacht anzukämpfen. Zu viele Gegner waren auf uns eingeströmt. Pech und Mißerfolg auf der ganzen Linie. Aber warum hatte man uns überwältigt? Welches Geheimnis wollten diese Männer verbergen? Hing es vielleicht mit dem Buch zusammen, auf das uns der geheimnisvolle Anrufer aufmerksam gemacht hatte?
Trotz der miesen Lage, in der ich mich befand, war ich neugierig wie selten.
Als Suko sich einmal bewegte, spürte ich seine Fußspitzen an meinem Kinn.
»Danke«, sagte ich.
Mein Partner hatte dies sicherlich nicht extra getan, aber wenn man gegeneinander im Pond liegt, wird selbst die breite Rückbank des Bentley ziemlich eng.
Der Fahrer sprach kein Wort. Auch der Beifahrer nicht. Im Schrittempo fuhr der Wagen weiter. An den Seitenfenstern sah ich die Gesichter der mitlaufenden Männer.
Hin und wieder schauten die Leute ziemlich finster in den Bentley. Und wenn sich unsere Blicke trafen, hatte ich kein gutes Gefühl.
Ich versuchte, die beiden vor uns anzusprechen. »Wohin fahrt ihr uns?«
Schweigen.
»Nach Horlin?«
Der Beifahrer drehte sich um. Ich erschrak, denn er hatte ein häßliches Gesicht. Die linke Hälfte wurde von einem wuchernden Blutschwamm eingenommen, und die Augen schillerten grünlich wie das Wasser eines Moortümpels.
»Ihr werdet sterben!« prophezeite uns der Mann. Er stieß die Worte abgehackt hervor, so daß ich nur schwer etwas verstand.
Zudem sprach er kein reines Englisch. Gälische Laute schwangen in der Antwort mit.
In was waren wir da nur reingeraten? Welche Menschen hielten uns gefangen?
Suko und ich schwiegen danach. Da der Wagen sehr langsam fuhr, dauerte es noch zwanzig Minuten, bevor die Lichter des Ortes auftauchten.
Lichter war eigentlich zuviel gesagt. Denn die trüben Funzeln konnte man kaum als solche bezeichnen. Es waren alte Laternen, und sie hingen meist über den Türen der alten, windschiefen Häuser.
Ich sah die Umrisse dieser Bauten, und schon jetzt hatte ich das Gefühl, daß wir uns im tiefsten Mittelalter befanden. In Horlin schien die Zeit stehengeblieben zu sein.
Der Wagen blieb auch stehen. Er ruckte allerdings zweimal nach vorn. Der Mann war kein guter Autofahrer. Woher auch? Wer hier wohnte, fuhr höchstens mit dem Fahrrad. Zwei Männer öffneten die Türen.
Kräftige Hände packten Suko und mich unter den Schultern und zogen uns nach draußen. Dort wurden wir hingestellt.
Dann nahm man uns die Fußfesseln ab. Zwei Männer schnitten mit einer Zange die Drähte durch.
Ich sah, daß Suko Luft holte. Er wollte sich wehren, wenn er die Füße frei hatte.
Mein Kopfschütteln sagte ihm, daß ich gegen den Plan war. Schließlich waren wir fremd in dieser Gegend. Wenn es uns auch gelang, den Kreis der Menschen zu durchbrechen, wohin sollten wir laufen? Wir saßen in einer Falle, da der Ort vom Moor umgeben war.
Ich schaute mich um, und als erstes fiel mir auf, daß keine Frauen und Kinder zu sehen waren. Letztere lagen sicherlich zu dieser späten Stunde schon im Bett, aber die Frauen mußten doch noch auf den Beinen sein.
Nichts war von ihnen zu sehen. Man hatte das Gefühl, diese Stadt wurde von Männern beherrscht. Die Drähte fielen.
Sofort begannen meine Fußgelenke zu schmerzen, als das Blut in die Zehen schoß. Ich stellte mich trotzdem auf die Zehenspitzen, da ich etwas mehr sehen wollte.
Wir befanden uns auf einer Art Marktplatz. Der Bentley wirkte zwischen den alten, einstöckigen Häusern wie ein Fremdkörper. Ich sah keine
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