0084 - Schreie in der Hexengruft
haben.«
Sie machten sich an den zweiten Stein. Dieser war in der Tat viel schneller aus der Halterung gelöst. Und die nächsten beiden brachen fast von selbst aus dem beschädigten Mauerwerk.
»Versuche jetzt, durchzukommen!« rief Idrina.
Sie hörte, wie Marja in der Öffnung erschien. Zuerst die Arme, dann der Kopf.
»Es geht!« schnaufte Marja.
Idrina half ihr heraus. Dann standen sie nebeneinander. Kannten sich nicht und wußten doch viel über sich. Sie sahen sich nicht, aber sie wußten, daß ihre Augen leuchteten.
Liebevoll umarmte die befreite Marja ihre Retterin.
»Komm, wir wollen nicht warten! Laß uns den Ausgang suchen!« schlug Idrina vor.
Sie folgten dem Gang. Ihre Füße schlurften durch das Wasser. An manchen Stellen, wo der Boden eingesunken war, ging es ihnen bis zu den Knien. Fast immer waren sie mindestens bis zu den Knöcheln eingetaucht.
Sie gingen weiter, unermüdlich und stumm. Ihre Spannung wuchs. Bald mußte ihrer Schätzung nach der Ausstieg erreicht sein.
Sie erreichten die Stelle. Aber es war kein Ausstieg mehr da.
Ein Haufen von Steinbrocken, Schlamm und Geröll füllte den Hauptschacht.
»Eingestürzt!« schrie Marja. »Der Schacht ist eingestürzt! Wir können nicht hinaus!« Ein Weinkrampf schüttelte das zierliche Mädchen.
Idrina legte einen Arm um ihre Schulter.
»Weine nicht, Marja. Wir sind nicht ganz frei, aber wir sind auch nicht mehr gefangen. Dieses Hindernis schaffen wir auch noch. Es wird Stunden dauern, aber wir müssen durchhalten. Und ein Gutes hat der Einsturz des Schachtes auch für uns.«
»Was meinst du?« fragte Marja.
»Denk doch an die Hexenbrut. Die verdammten Weiber kommen nicht an uns heran, solange der Schacht zu ist. Sie müßten sich ihren Weg auch erst frei machen.«
»Du hast recht«, sagte Marja, ein wenig getröstet. »Und sobald sie das versuchen, werden wir sie hören. Das geht nicht ohne Geräusche ab.«
»Sie können nur nachts kommen. Also verhalten wir uns still und ruhen uns aus. Wenn sie in dieser Nacht nicht kommen, haben wir einen ganzen Tag, um von unten her Platz zu machen. Am Tage werden sie sich nicht her wagen.«
Bald fanden sie eine Stelle, wo der Gang ein wenig anstieg. Bis hierher war das einströmende Wasser nicht gedrungen. Erschöpft ließen die Mädchen sich auf dem Boden nieder. Sie lehnten sich mit dem Rücken gegen die feuchtkalte Wand und gewöhnten sich bald an diese unbequeme Stellung.
Minuten später waren sie eingeschlafen.
Die alte Baba mit ihren Schwestern ließ sich in dieser Nacht nicht mehr sehen.
Am Morgen danach begannen Marja und Idrina, sich den Ausstiegsschacht freizugraben.
Es sollte ein hartes Stück Arbeit werden.
***
Zamorra hörte gespannt zu, als der Tischler Matilec ihm erzählte, welche Geschichten um die Zauberhexen vom Wolfstal umgingen.
Der Professor konnte einen guten Teil des Berichtes verstehen, und den Rest konnte die Lehrerin Jana ihm verdeutlichen.
»Wo sind diese Zauberhexen zu suchen?« ließ er den Mann durch Jana fragen.
Der Rumäne zündete sich umständlich eine Pfeife an, nahm ein paar lange Züge und antwortete.
»Niemand weiß es genau. Aber es muß oben in den Bergen sein. Im Wolfstal. Aber niemand würde wagen, sie zu suchen. Sie können in den Höhlen der Schlucht wohnen. Oder unten am Fluß, wo das Wolfstal aufhört.«
»Wann sind sie zum letztenmal aufgetreten, vor der Entführung der Mädchen?«
»Immer«, war die Antwort. »Immer und überall. Manchmal richten sie nur kleinen Schaden an. Aber oft sind sie gemeingefährlich. Sie rauben Kinder, und man sagt, daß sie die Kleinen verspeisen. Es verschwinden immer einmal Menschen.«
»Und niemand hat versucht, den Hexen einmal entgegenzutreten?« ließ Zamorra den Mann fragen.
»Nicht nur einer, Herr«, sagte Matilec. »Viele haben es versucht. Immer wieder sind sie ausgezogen. Sie fanden die Hexen. Einmal im Wald, mal in den Bergen, mal drüben am Fluß. Man hat sie niemals wiedergesehen. Man weiß nicht, wo sie geblieben sind. Verzaubert oder erschlagen, niemand weiß es.«
»Und wie treten die Hexen auf?« fragte Zamorra abschließend.
»Sie kennen hundert Verkleidungen«, übersetzte Jana die Aussage des Alten. »Sie kommen als Kinderfrauen oder als Marktweiber. Sie kommen geflogen, und sie bringen alles zum Fliegen. Sie rauschen durch die Luft, daß es klingt wie der böse, heisere Wind von den Bergen. Sie fliegen in Bottichen und riesigen Mörsern herbei, genau wie ihre Mutter, die große alte
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