0084 - Schreie in der Hexengruft
zweiten müssen wir nämlich abziehen, weil ich den für die Reise gebraucht habe. Ich war heute morgen noch in Paris und bin mit dem Flugzeug gekommen.«
Der Tischler und seine Frau starrten den Professor an. Wie eines jener Wesen, auf dessen Jagd er aus war.
»Wie… wie habt ihr es erfahren?« fragte der Mann zögernd. »Hat man im Rundfunk …?« Er ließ die Frage unausgesprochen.
»Nein«, sagte Zamorra.
»Oder eine Zeitung?« fragte Idrinas Mutter.
»Nein. Nichts dergleichen.«
»Und woher wißt ihr, daß unsere Tochter verschwunden ist?«
»Ich sage es euch, und ihr dürft nicht erschrecken.«
»Wir sind gefaßt, Herr. Sprecht nur, wir hören.«
»Auch ich habe gehört, Matilec«, wandte sich Zamorra an den Vater.
»Ich verstehe nicht«, übersetzte Jana dessen Antwort.
»Sagen Sie ihm, Jana, daß ich die Stimme seiner Tochter gehört habe. Es waren Hilfeschreie. Und sie hat meinen Namen dabei gerufen.«
Die Frau wurde bleich, als Jana diese Antwort weitergab.
***
Zamorra erklärte mit Janas Hilfe und in wenigen Worten, was es mit seinem Zauberamulett für eine Bewandtnis hatte. Er wollte diese einfachen Leute nicht langweilen und mit okkulten Dingen belasten.
So erklärte er ihnen nur kurz, über welche Kräfte er verfüge. Daß er die Spuren der Überirdischen finden konnte. Daß er in die Jahrhunderte zurückhören und -sehen konnte.
»Ich war in meinem Schloß, das an der Loire liegt. Und ich habe eure Tochter rufen hören. Natürlich wußte ich nicht, daß es sich um eure Tochter handelt. Das habe ich erst drei Stunden später erfahren. Da wurde ihr Name genannt.«
»Idrinas Name? Von wem?« fragten die Matilec’ wie aus einem Munde.
»Das kann ich nicht genau beantworten. Deswegen bin ich zu euch gekommen. Ich weiß nur, daß es mehrere Frauen waren. Und ich bin sicher, daß diese Personen Idrina entführt haben. Irgendwohin verschleppt.«
»Aber wer sollte so etwas tun?« fragte die Frau.
»Kein Mensch tut so etwas«, bestätigte der Rumäne.
»Es handelt sich nicht um Menschen, Matilec. Ich fange keine Menschen. Ich fange nur Teufel und Dämonen. Ich weiß, daß es auch hier noch dämonische Mächte gibt. Ich habe auch gehört, wie eure Tochter diese Erscheinungen genannt hat.«
Fragend sah ihn der Mann an.
»Ich konnte hören, daß Idrina sie eine Hexenbrut nannte.«
Da schrie die Frau auf.
»Die Töchter der Baba Jaga!« schrie sie. »Dann ist Idrina verloren!«
Sie begann heftig zu wimmern und konnte nicht wieder aufhören.
»Man kennt diese Hexen hier also?« fragte Zamorra.
Der Rumäne nickte. »Vier Töchter, Herr. Die alte Baba, dann Mihaila, Jadwiga, und die junge Andra. Jeder kennt sie. Jeder fürchtet sich vor ihnen. Sie haben große Macht.«
»Erzählt mir mehr von ihnen«, sagte Zamorra. »Ich muß alles wissen.«
***
Es ging auf Mitternacht zu.
Die Mädchen in den steinernen Verliesen des stillgelegten Bergwerks konnten nicht schlafen. Marja war nach einem ohnmachtsähnlichen Schlaf erwacht. Vor einer Stunde war es ihr gelungen, sich mit Idrina Matilec zu unterhalten.
Sie hatten sich ihre Geschichte erzählt. Wie es zu dem Überfall gekommen war. Sie kannten sich, obwohl sie sich nie gesehen hatten.
Nun wirkten sie schon wie Vertraute, wie langjährige Freundinnen.
Das gemeinsame Schicksal brachte sie seelisch zusammen.
»Ich habe die Flasche auf dem Kopf der alten Baba zerschmettert«, sagte Marja gerade.
»Ich weiß«, rief Idrina hinüber. »Ich habe das Krachen gehört. Für diesmal bist du dem giftigen Trank entkommen. Aber die Hexen werden wiederkommen, ich fühle es. Sie werden sich an uns rächen wollen.«
»Das fürchte ich auch«, kam Marjas Stimme durch den Flur herein.
»Was können wir nur tun?«
»Ich habe zuerst gedacht, daß es nur den Bretterverschlag gibt, als eine Art Tür. Es ist ein Schloß daran.«
»Ja«, rief Marja. »Aber dahinter ist eine Tür. Man sieht sie erst, wenn man den Bretterverhau geöffnet hat.«
»Bei mir ist es auch so. Ich wollte versuchen, die Bretter auseinanderzubiegen und dann durchzuschlüpfen. Man könnte sich im Gang verstecken. In irgendeinem Nebenstollen, dicht am Ausstiegsschacht. Dann kämen wir ins Freie, wenn die Hexen uns einen Besuch abstatten wollen.«
»Es geht nicht, Idrina. Wir müssen auf andere Hilfe hoffen.«
»Ja, Marja. Wir wollen aber überlegen, ob es nicht einen anderen Ausweg gibt.«
»Wir kommen mit eigener Hilfe nicht hinaus. Das weiß ich. Wir müssen uns fügen und
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