0087 - Schrei, wenn dich die Schatten fressen!
von einem Mann verteidigt. »Das war der Kerl in dem VW.«
»Haben Sie die Nummer?« fragte Suko und hielt sich die rechte Schulter, die trotz der schützenden Jacke etwas abbekommen hatte.
»Nein.«
Das hatte der Chinese sich schon gedacht.
Die Polizisten kamen. Zwei Bobbys in langen Regencapes. Suko winkte dem Zeugen, und gemeinsam schritten sie auf die Bobbys zu. Dabei schaute Suko nach seiner Maschine. Sie lag ein Stück weiter, ebenfalls am Straßenrand.
Einiges hatte sie doch abbekommen, wie Suko erkennen konnte. Der Spiegel an der rechten Seite war zerstört, der andere stand in einem schrägen Winkel ab. Der Motor war ausgegangen. Mit der Harley würde er vorerst nicht mehr fahren können.
»Ein Abschleppwagen wäre wohl jetzt das beste«, schlug einer der Polizisten vor.
Suko schüttelte den Kopf. »Der kann später kommen«, sagte er. »Zuerst muß ich telefonieren.«
»Und das Protokoll?«
Suko war schon drei Schritte weitergegangen und drehte sich um. »Das hat Zeit.« Dann rannte er auf eine Telefonzelle zu. Wohl war ihm nicht in seiner Haut. Und den VW-Fahrer, den hätte er glatt erwürgen können.
***
Einen Lidschlag lang sah Jane Collins die breite, beiderseitig geschliffene Messerklinge, und sie reagierte wie ein Automat.
Bevor das Messer auf sie niederfahren und durchbohren konnte, kippte sie der Frau das Sodawasser ins Gesicht.
Mit allem hatte Mary Selnick gerechnet, damit jedoch nicht. Sie hatte die Augen weit aufgerissen gehabt, so daß das Wasser voll in sie eindringen konnte.
Plötzlich war Mary blind.
Sie schrie wütend auf und taumelte zurück, wobei sie mit dem Messer wild Um sich stach und so versuchte, Jane Collins doch noch zu treffen.
Die Detektivin sah sich vor. Sie hütete sich, in die Nähe der Frau zu gelangen, denn sie gebärdete sich wie eine Furie. Mit der freien Hand fuhr sie sich über das Gesicht und die Augen. Sie wischte das Sodawasser aus den Winkeln und konnte wieder klar sehen.
Und schon hörte sie die Stimme in ihrem Kopf. ›Bring sie um. Mach schon. Sie hat keine Chance.‹
Mary Selnick nickte und sagte: »Ja, ich mache es, Hank. Ich tu’s. Für dich, Hank.«
Über diese Worte wunderte sich wiederum Jane Collins. Mit wem sprach die Frau? Jane überlegte, ob es sich bei Mrs. Selnick nicht um eine Geistesgestörte handelte.
Gut möglich.
Aber Irre waren oft mörderisch. Gefährlich bis zur Selbstaufgabe. Sie handelten nicht rational, sondern ließen sich von ihren Gefühlen leiten, schossen, wenn sie eine Waffe besaßen einfach drauflos oder stachen auch, wie diese Mary Selnick es anscheinend tun wollte. Nur welchen Grund hatte sie, in Janes Wohnung einzudringen?
Die Detektivin streckte ihre Hand aus. Mit ruhiger Stimme sagte sie: »Geben Sie mir das Messer, Mrs. Selnick. Bitte.«
Mary schüttelte den Kopf. Ein paar letzte Sodawassertropfen flogen wie Perlen zur Seite. »Ich werde dich umbringen!« flüsterte sie heiser. »Ich töte dich!«
»Und warum?«
»Weil du am Tod meines Mannes schuld bist.«
»Dann erklären Sie es mir bitte«, forderte Jane die Frau auf. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Wir setzen uns jetzt hin und reden in Ruhe über den Fall. Okay?«
»Nein, zum Henker. Nichts ist okay. Gar nichts. Du Hexe bist schuld, daß Hank gestorben ist. Du hast ihn damals verhaftet. Sie haben ihn eingesperrt wie ein Tier. Sie haben ihm die. Freiheit genommen, und das alles hat er dir zu verdanken. Dir verdammtem Weib. Aber so einfach ist es nicht, einen Hank Selnick zu töten. Er ist zurückgekommen. Er steckt in meinem Körper, und er wird sich rächen. Er will, daß ich ihn räche und daß er sich rächt.« In ihrer Aufregung warf Mary Selnick alles durcheinander.
Jane Collins sah ein, daß sie diese Frau mit Worten und auf friedlichem Wege nicht von ihrer Tat abhalten konnte. Sie mußte es anders versuchen.
Nicht umsonst war sie eine ausgebildete Judo- und Karatekämpferin. Jane stand nicht zum erstenmal einem Gegner gegenüber, der sie mit einem Messer töten wollte. Die Detektivin verengte die Augen zu schmalen Sicheln, ihr Körper spannte sich, ihre Hände waren leicht gekrümmt.
Mary Selnick kam. Angestachelt von der Stimme ihres Mannes glitt sie auf Jane Collins zu. Sie hielt das Messer so, daß die Klinge nach unten zeigte, sie wollte den Stoß also von oben herab führen. Und dann mit ungeheuerer Wucht.
Jane Collins wich ein wenig zurück. Sie wollte nicht von irgendeinem Möbelstück behindert werden. Liebend gern hätte sie
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