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0087 - Schrei, wenn dich die Schatten fressen!

0087 - Schrei, wenn dich die Schatten fressen!

Titel: 0087 - Schrei, wenn dich die Schatten fressen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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Besucherraum gegenübersaßen, dämpfte Hank seine Stimme noch stärker als sonst.
    »Hör zu, Mary!« flüsterte er. »Ich hab’s!«
    »Was hast du?«
    »Ich weiß jetzt, wie ich nach meinem Tod weiterleben werde. Es gibt für mich keine Angst mehr. Ich habe in einem alten Buch gelesen, daß ich dich aus dem Jenseits immer wieder besuchen und dir mit Rat und Tat zur Seite stehen kann.«
    »Du bist verrückt.«
    Da schüttelte Hank Selnick mit ernstem Gesicht den Kopf. »Nein, Mary, ich bin nicht verrückt. Ebensowenig wie du. Ich habe nur hinter die Kulissen geschaut. Denk an unser Gespräch, wenn ich einmal nicht mehr bin.«
    Und Mary Selnick dachte daran, als sie am Grab ihres Mannes stand und auf den nassen Sargdeckel starrte, während der Regen weiterhin auf ihren Schirm trommelte. Irgendwie hatte sie den Wunsch, Hank möge zurückkehren und wenn es nur für einen Tag war.
    Aber der Sarg blieb ebenso stumm wie die Leiche, die in ihm lag. »Entschuldigen Sie, Missis…«
    Überrascht drehte sich Mary um. Sie hatte den Mann nicht kommen gehört, der plötzlich neben ihr stand.
    »Ja bitte?« fragte sie.
    Der Mann trug graues Ölzeug und einen Hut aus dem gleichen Material. Er hielt eine Schaufel in der Hand und zeigte auf einen jüngeren Mann, der ganz in der Nähe wartete. »Mein Kollege und ich sind hier die Totengräber. Wir möchten das Grab gern zuschaufeln, wenn Sie es gestatten. Wir müssen heute noch drei weitere Gräber fertigmachen, und die Zeit drängt.«
    »Ja, dann…« Mary nickte. »Lassen Sie mich noch einen Blick auf den Sarg werfen.«
    »Selbstverständlich.« Der Totengräber trat pietätvoll zurück.
    Mary Selnick schaute in das Grab. Und plötzlich hatte sie das Gefühl, über dem Deckel würde sich etwas bewegen. Ein Schatten nur, dunkler noch als das Holz aber er war da.
    Und er besaß Konturen.
    Die eines Menschen…
    Mary krampfte ihre freie linke Hand zur Faust. Sie schloß für einen Moment die Augen. Als sie wieder hinschaute, war der Schatten verschwunden.
    Eine Täuschung, nichts weiter…
    Mary Selnick schluckte. Sie wollte nicht mehr weinen. Hart preßte sie die Lippen zusammen, drehte sich um und ging.
    Die beiden Totengräber machten sich an die Arbeit. »Seltsame Frau«, meinte der Ältere noch, bevor er die Schaufel in den nassen Lehmhügel stach.
    Mary Selnick aber ging zwischen den frischen aufgeworfenen Gräbern hindurch und erreichte schließlich den Hauptweg, der zum Ausgangstor führte.
    In der Nähe befand sich eine Haltestelle. Zusammen mit anderen Trauergästen bestieg Mary Selnick den Bus und fuhr in Richtung Innenstadt.
    Allein saß sie auf dem Sitz, und sie dachte an ihren verstorbenen Mann.
    Den Schatten hatte sie vergessen…
    ***
    Mary Selnick wohnte in Whitechapel, einem Stadtteil im Osten von London. Mit dem Bus waren es zehn Minuten Fahrt, dann konnte sie aussteigen.
    Es war mittlerweile später Nachmittag geworden. Und es regnete noch immer. Die hellen Glotzaugen der Autoscheinwerfer zerfaserten im herabrinnenden Regen. An den Straßenrändern hatten sich Pfützen gebildet, und wenn die Reifen der Autos hindurchfuhren, schleuderten sie das schmutzige Wasser gegen die Fußgänger.
    Leicht vornübergebeugt schritt Mary Selnick durch die Minories Street. Es war eine Geschäftsstraße. Ein Laden reihte sich neben den anderen. Dazwischen ein Pub oder ein Schnellimbiß.
    Die Menschen hasteten aneinander vorbei. Sie hatten nie Zeit für sich und die anderen, und bei dem miesen Wetter schon gar nicht.
    Marys Gedanken drehten sich um ihren Mann. Sie fürchtete sich davor, in die leere Wohnung zu kommen, mit der Gewißheit, daß ihr Mann nicht mehr lebte. Als er noch im Zuchthaus saß, hatte ihr das nichts ausgemacht.
    Jetzt fühlte sie sich ungeheuer einsam.
    Deshalb stoppte sie vor der Tür einer kleinen Konditorei, betrat den Laden und trank am Stehpult eine Tasse Kaffee. Sie selbst wohnte in der Hayd Street, einer schmalen Nebenstraße der Minories Street. Hier standen die Häuser dicht an dicht, und wenn man auf den Speicher des Hauses kletterte, konnte man bis zum Tower, dem berühmten Londoner Wahrzeichen, schauen.
    Aber daran hatte die leidgeprüfte Witwe kein Interesse. Müde stieg sie die Treppen zum zweiten Stock hoch. Im Flur roch es muffig. Die Feuchtigkeit kroch aus allen Wänden. Der Lack des Flursockels blätterte ebenfalls ab.
    Erst jetzt merkte Mary wie mies dieses Haus doch war. Mies und einsam.
    Sie schloß die Tür auf.
    In ihrer Wohnung herrschte

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