0087 - Schrei, wenn dich die Schatten fressen!
Der Direktor stand auf und ließ die Klappe eines Rollschranks nach unten fahren. Er konnte die Bücher kaum tragen, so zahlreich waren sie.
Er stellte sie vor mir auf die Kante seines Schreibtisches. »Wenn Sie die durchlesen wollen, haben Sie verdammt viel zu tun«, stöhnte er.
»Bestimmt.« Ich nahm eines der Bücher in die Hand. Der Titel war mir bekannt. Auch die anderen Bücher kannte ich vom Titel her. Ich las mir auch die Klappentexte durch, fand jedoch nichts, was auf den Schwarzen Tod oder irgendeinen anderen bekannten Dämon aus dem Reich der Finsternis hinwies.
»Und es fehlt nichts?« erkundigte ich mich vorsichtig.
Frank Atkins zeigte sich entrüstet. »Nein.«
»Haben Sie die Bücher genau gezählt?«
Der Direktor schüttelte den Kopf.
»Verzeihen Sie, aber weshalb fragen Sie?«
»Weil ich die Anleitungen zu Beschwörungsformeln vermisse, deshalb. Und wie ich hörte, soll dieser Selnick ja Beschwörungen durchgeführt haben.«
Atkins hob die Schultern.
Ich schaute ihn von unten her an. »Kann ich vielleicht mit Simon Oxford reden?«
»Selbstverständlich.« Atkins griff zum Telefon. »Ich lasse ihn herholen.«
»Nein, nein.« Rasch winkte ich ab. »Ich möchte mit ihm in seiner Zelle reden.«
»Gibt es dafür einen Grund?«
»Vielleicht«, erwiderte ich ausweichend.
»Gut«, sagte Frank Atkins, der Zuchthausdirektor, »gehen wir, Mr. Sinclair.«
***
Ich mag Zuchthäuser ebensowenig wie Gefängnisse. Überhaupt alles, was vergittert ist. In Atkins’ Büro hatte ich mich schon nicht wohl gefühlt, im Herzen des Zuchthauses jedoch fröstelte ich regelrecht.
Da waren die langen Gänge, das Klappern der Absätze auf vernieteten Stahlplatten, die Gitter und die Zellentüren, die zum Teil offenstanden, da die Gefangenen ihren Beschäftigungen in den einzelnen Werkstätten nachgingen.
Ich warf öfter einen Blick in die Zellen und sah die kargen Einrichtungen, die auch durch ausgeschnittene Pin-up-Girls an den Wänden nicht verschönert wurden.
Auch ich hatte mal ein paar Tage in einem Zuchthaus verbracht. Und zwar in Dartmoor. [1]
Die Zellenblocks waren auf zwei Etagen untergebracht. Zwei Galerien liefen um das große Rechteck herum. Über eine Eisenleiter kletterten wir in die zweite Etage hoch.
Ein Wärter kam uns entgegen. Er nahm Haltung an und grüßte, als er den Zuchthausdirektor erkannte.
»Wo steckt Oxford im Augenblick?« fragte Atkins.
»In der Wäscherei, Sir!«
»Dann holen Sie ihn!«
»Sofort, Sir!«
Der Wärter grüßte zackig und verschwand. Ich schaute mich um. Der Gefangenentrakt lag im Dunkeln. Wenn ich über das Geländer in die Tiefe blickte, sah ich die beiden Gefangenen, die unten den Boden fegten. Der eine pfiff ein Lied mit schriller Melodie.
»Von hier aus haben sich schon oft Leute heruntergestürzt«, erklärte mir der Direktor.
Ich verzog die Mundwinkel. »Das kann ich mir vorstellen.« Meine Zigaretten steckten in der rechten Manteltasche. Ich holte sie hervor und zündete mir ein Stäbchen an. Atkins rauchte nicht. Auch ich hatte es stark eingeschränkt, aber in diesen Augenblicken brauchte ich einfach einen Glimmstengel.
Der Wärter kam zurück. Und mit ihm Simon Oxford. Ich sah sie die Stufen hochkommen. Oxford trug einen blauen Arbeitsanzug und hatte bereits den leicht schleppenden, nach vorn gebeugten Gang eines Zuchthäuslers.
Er war nicht groß. Ein schmächtiges Bürschchen mit lackschwarzen, nach hinten gekämmten Haaren, die ihm bis auf den Kragen fielen, einem schmalen Oberlippenbart, der wie ein Bleistiftstrich wirkte und einem Lächeln um die Lippen, das zu stark aufgetragen war, um echt zu wirken.
Vor uns blieben der Wärter und der Gefangene stehen.
»Brauchen Sie mich noch, Sir?«
»Nein, Sie können gehen!«
Der Wärter drehte sich auf dem Absatz um und marschierte davon.
Atkins stellte mich vor. »Das ist Oberinspektor Sinclair von Scotland Yard. Er möchte sich gern mit Ihnen unterhalten, Oxford.«
Das Lächeln wurde noch künstlicher. »Ich freue mich, Sir.«
»Wir gehen am besten in Ihre Zelle«, sagte der Zuchthausdirektor. Er selbst schritt vor, Oxford folgte, und hinter ihm betrat ich den schmalen Raum.
Er war wirklich traurig. Ein pritschenähnliches Brett, ein alter Tisch, ein Stuhl, vor dem Tisch die Wand mit den unbekleideten Girls, ein schmaler Spind, die trübe Lampe an der Decke und das hoch liegende kleine Fenster mit den dicken quer- und längslaufenden Gitterstäben.
Das einzige Moderne war vielleicht das
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