009 - Der Folterknecht
verstehen, warum Olivaro versucht hatte, ihn an der Erforschung der Vergangenheit zu hindern. Olivaro mußte befürchten, daß er die Wahrheit über ihn erfahren würde. Das schreckliche Geheimnis betraf also nicht ihn, sondern Olivaro. Denn mit dem Porträt hatte der Dämonenkiller auch sein Leben in der Hand.
Dorian nahm das Tagebuch zur Hand, lehnte sich bequem im Sessel zurück, schlug es auf und begann zu lesen. Und dabei war ihm, als erlebte er selbst die folgenden Begebenheiten aus der Vergangenheit.
Vergangenheit
Zwei Jahre waren ins Land gezogen, die ich größtenteils auf meinem Schloß bei Nancy verlebte. Ich fuhr in dieser Zeit einige Male nach Konstanz, um meine Beziehungen zu verschiedenen Leuten aufrechtzuerhalten, stand aber auch die übrige Zeit in ständigem Kontakt mit den beiden Dominikanern Jakob Sprenger und Heinrich Institoris.
Nachdem wir gemeinsam den Hexenhammer ausgearbeitet hatten, reisten die beiden nach Köln, um dort die Approbation dafür einzuholen. Sie erhielten die Genehmigung für den Gebrauch dieser Leitlinien zur Hexenbekämpfung und teilten mir mit, daß er nun in der theologischen Fakultät in Druck gehen würde. Denn nur so war es möglich, den Hexenhammer einem großen Kreis zugänglich zu machen. Und das war die Grundbedingung für eine wirkungsvolle Bekämpfung der Dämonen. Natürlich wußten wir, daß der Hexenhammer kein Allheilmittel gegen das Dämonenunwesen war, aber er würde vielen Richtern und Inquisitoren helfen, die richtigen Verhörmethoden anzuwenden, denn bisher war weitgehend unbekannt, welche Fragen man im Verhör stellen mußte, um eine Hexe in Widersprüche zu verwickeln und sie zu entlarven.
Der Hexenhammer enthielt sechsundneunzig der wichtigsten Fragen, die bei Verhören mit Dämonen zu stellen waren, und diese waren in zwölf Artikel unterteilt.
Die erste Frage in Artikel 1 – Warumben sie vermain, das sie hierher gefireth worden? – war noch relativ harmlos und unverfänglich, aber sie bereitete das weitere Verhör vor. Dann wurden die Fragen immer direkter und zwangen die Hexe, Farbe zu bekennen. Natürlich war nicht zu erwarten, daß sie sofort freimütig ein Geständnis ablegten. Deshalb mußte man ihnen auch die Beweise ihrer Schuld vorlegen und mit Dämonenbannern arbeiten. Ich hatte den beiden Großinquisitoren meinen reichen Erfahrungsschatz zur Verfügung gestellt und hoffte, daß sie die Weiße Magie im Hexenhammer berücksichtigen würden. Auch meine durch die Teilnahme am Hexensabbat gewonnenen Erfahrungen fanden im Hexenhammer ihren Niederschlag. Ich wußte, wie es beim Sabbat zuging, daß dort getanzt, Unzucht getrieben und schaurige Mahlzeiten abgehalten wurden. Sicher mußte man manchmal den Hexen die Daumenschrauben ansetzen, um sie zum Sprechen zu bringen, oder ihnen ein geweihtes Kreuz auf die Stirn pressen, aber die Folter ohne die richtigen Fragen war sinnlos. Foltermethoden waren mir überhaupt suspekt, weil viele Dämonen überhaupt keine Schmerzen empfanden, und ich hoffte, daß die Inquisition in naher Zukunft ganz ohne diese barbarischen Methoden auskommen würde.
Ich hatte in der Zwischenzeit viel Material über verdächtige Personen gesammelt – auch während meiner Aufenthalte in Konstanz –, das ich den Behörden zur weiteren Verwendung übergab. Die Hexenprozesse rund um den Rhein häuften sich.
Eines Tages, es war im April 1487, erhielt ich aus Köln die Nachricht, nach Konstanz zu kommen. Gezeichnet war der Brief, den mir ein Kurier überbrachte, von Großinquisitor Jakob Sprenger.
Ich machte mich sofort auf den Weg.
Ich wohnte im Haus der Witwe Mengerdorf, die ich vor den Augen der Inquisitoren selbst gerichtet hatte. Das Haus war mir aus Dank für meine Verdienste zugesprochen worden. Damals hatte man in einer großangelegten Aktion insgesamt dreiundachtzig Opfer dieses Vampirs aufgestöbert und gepfählt. Aus Rücksicht auf die verängstigte Öffentlichkeit wurden diese Vorgänge jedoch nicht aktenkundig. Außerdem waren noch weitere verdächtige Personen verhaftet, eingesperrt und teilweise auch hingerichtet worden, so daß Konstanz jetzt eine von Dämonen gesäuberte Stadt war.
Gleich nach meiner Ankunft erkundigte ich mich nach dem Großinquisitor, erfuhr jedoch zu meinem Bedauern, daß sich sein Eintreffen etwas verzögert hatte; dafür wurde mir bereits ein in Köln gedrucktes Exemplar des Hexenhammers überreicht. Als ich mich in die Lektüre vertiefte, war ich jedoch sehr enttäuscht. Die
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