0091 - Satans Schloß
mitleidig. »Wofür halten Sie mich, Monsieur? Bei Jacques ist es nicht das Aussehen, das die Leute abstößt. Es ist etwas ganz anderes.« Wieder räusperte er sich, dann folgte der scheue Blick in die Runde. »Ich bin ein alter Mann, Monsieur Sinclair, und bereits vor dreißig Jahren starb mein Vater mit achtzig. Aber er hatte sich als Kind schon vor Jacques, dem Diener auf dem Château, gefürchtet! Und mein Großvater hatte ebenfalls bereits als Kind einen weiten Bogen um Jacques, den Diener vom Château, gemacht!«
Ich blickte den Arzt überrascht an. »Wahrscheinlich nannten die Grafen von Brouillard ihre Diener immer Jacques!«
»Schon mein Großvater beschrieb Jacques so, wie er heute aussieht«, behauptete der Arzt. »Und dieses Äußere ist wirklich unverwechselbar, meinen Sie nicht auch?«
Ich zuckte die Achseln. »Schon möglich«, antwortete ich höflich, weil ich den hilfsbereiten Mann nicht beleidigen wollte. Ich kannte diese Gerüchte, die in Dörfern und Kleinstädten umliefen. Manchmal war wirklich etwas daran, aber meistens entsprangen sie nur dummen Vorurteilen. »Wie dem auch sei, Jacques wird nie mehr auftauchen. Er ist heute nacht vom Felsen gestürzt. Morgen früh muß die Gendarmerie nach seiner Leiche suchen!«
Zu meiner Überraschung lächelte der Arzt. »Monsieur Sinclair, Jacques kann nicht sterben!« sagte er überzeugt.
»Das sagen Sie als Arzt?« staunte ich.
»Eben weil ich Arzt bin, sage ich es! Jacques ist kein Mensch!«
Nun wurde ich doch stutzig. Schließlich wirkte dieser Arzt nicht wie ein Spinner, und vielleicht war Jacques tatsächlich kein Mensch, sondern ein Untoter oder ein Dämon in Menschengestalt. Das hätte jedoch bedeutet, daß der Comte de Brouillard über alles informiert war. Er mußte über Jacques genau Bescheid wissen und überhaupt tiefer in diesen Fall verstrickt sein, als er bisher zugegeben hatte.
Sein merkwürdiges Verhalten fiel mir ein, als Suko ihm den Absturz seines Dieners gemeldet hatte. Plötzlich hatte ich es sehr eilig. Ich bedankte mich noch einmal bei dem Arzt und ging zu Pierre, der zusammengesunken in einem Sessel kauerte.
»Ich bringe dich jetzt nach Hause«, schlug ich vor und blieb bei dem Du.
Er hob den Kopf und schüttelte ihn entschlossen. »Auf keinen Fall! Ich habe Angst, daß Michelle wiederkommt! Nehmen Sie mich auf das Schloß mit, Monsieur Sinclair! Lieber auf der Spukburg als allein in Nouvatelle.«
Ich widersprach, doch er ließ sich nicht umstimmen. Immerhin war er bereits volljährig und konnte über sich selbst bestimmen. Humpelnd ging er zu meinem Geländewagen. Schweigend fuhren wir aus dem schlafenden Nouvatelle hinaus. Mein Hilferuf an die Funkzentrale hatte keinen Erfolg gebracht. Vermutlich war mein Französisch doch nicht gut genug gewesen. Aber jetzt brauchte ich die französischen Kollegen nicht mehr.
»Pierre«, sagte ich vorsichtig, als wir die halbe Höhe des Burgberges erreicht hatten. »Wenn du Michelle noch einmal siehst… geh ihr aus dem Weg! Vertrau ihr nicht, ganz gleich, was sie sagt! Auch wenn sie dir schwört, daß jetzt wieder alles in Ordnung ist und daß sie nur dich liebt, darfst du ihr nicht glauben. Hast du verstanden?«
»Ich weiß, was Sie meinen, Monsieur Sinclair«, sagte er leise. »Werden Sie den Schuldigen finden und bestrafen?«
Ich warf ihm einen kurzen Blick zu, dann konzentrierte ich mich wieder voll auf die schwierige Straße. Sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt, regungslos und erstarrt.
»Ich verspreche es«, sagte ich und gab mehr Gas. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß auf dem Château nicht alles in Ordnung war. Außerdem hatte ich Suko nicht gesehen. Hatte er das Motorrad des Jungen wieder in Ordnung gebracht?
Die Antwort darauf erhielt ich ein paar Minuten später, als ich den Geländewagen der französischen Gendarmerie vor dem Schloß ausrollen ließ. Suko stand neben dem Motorrad und kam an den Wagen.
»Bin kurz vor dir angekommen, John«, berichtete er. »Die Maschine läuft. Sie hat bei dem Sturz nur ein paar Schrammen abbekommen.«
Wortlos stieg Pierre aus und ging auf das Portal zu. Ich folgte ihm, und Suko schloß sich uns an. Er schob das Motorrad. Wenn schon der Geländewagen nicht durch das Portal paßte, wollte er wenigstens ein Fahrzeug in Sicherheit bringen.
Schon streckte ich die Hand nach dem Klingelzug aus, als die kleine Nebenpforte aufschwang. Im schwachen Mondlicht sah ich die unförmige Gestalt des Dieners Jacques, dachte an die Worte
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