0093 - Mord in der Mumiengruft
des alten Maya-Tempels, sondern in einer gewaltigen Halle, die so prunkvoll eingerichtet war, daß es ihnen den Atem verschlug.
Sie sahen all das, was auch ich gesehen hatte. Und sie entdeckten noch mehr.
Einen Mann, der von vier Kriegern die große Treppe zum Altar hochgeschleift wurde und sich verzweifelt wehrte.
Der Mann war ich!
***
Die Krieger hielten mich gepackt. Ihre starken Hände umklammerten meine Arme, so daß ich mich nicht rühren konnte. Ich hatte das Gefühl, daß sich die Augen aller Anwesenden nur mir und den Kriegern zuwenden würden. Ein vielfacher Schrei brandete durch die gewaltige Tempelhalle.
»Tod! Tod dem Fremdling!«
Kein Zweifel, wer damit gemeint war. Und die vier Krieger folgten der Meinung der Masse. Sie griffen noch fester zu.
Sie schleiften mich in Richtung Treppe. Erst jetzt, als ich die Stufen schon vor mir sah, begann ich mich zu wehren. Vorher war ich viel zu überrascht gewesen.
Hart stemmte ich meine Beine ein und warf im gleichen Augenblick meinen Oberkörper nach rechts.
Mit diesem Widerstand hatten meine Aufpasser nicht gerechnet. Sie wurden zur Seite geworfen und fielen zu Boden. Die anderen beiden hielten mich fest, so daß ich nicht über die ersten fallen konnte. Ich hatte jedoch den rechten Arm frei.
Dann folgte ein Sensenschlag.
Meine Faust traf die beiden Typen, die mich links gepackt hielten. Ihre Köpfe knallten gegeneinander. Die Männer warfen die Arme hoch und ließen mich los.
Ich war frei!
Blitzschnell fuhr meine Hand zur Waffe. Ich wollte die Beretta ziehen, doch ich hatte vergessen, daß es vier Gegner waren. Plötzlich spürte ich die Hände an meinen Fußknöcheln. Ein Ruck, und ich fiel der Treppe entgegen.
Mit der linken Hand konnte ich mich gerade noch abstützen, sonst wäre ich mit dem Gesicht voll auf die Stufen geknallt. Im nächsten Moment hingen sie mir im Nacken.
Diesmal schaffte ich es nicht, sie abzuschütteln. Außerdem waren sie gewarnt. Ein Faustschlag traf meinen Hinterkopf und schickte mich in eine sekundenlange Bewußtlosigkeit.
Als ich wieder klar denken konnte, hing ich in den Griffen meiner Bewacher und konnte mich nicht rühren. Nur noch die Stufen hochlaufen, mehr nicht. Die Arme hatten sie mir nach hinten gebogen. Heutzutage nennt man so etwas Polizeigriff, aber die alten Mayas kannten diesen Griff auch schon.
Vor mir sah ich die lange Treppe. Und am Ende den Altar mit der Toten darauf.
Erst jetzt fiel mir der ganze Widersinn auf, in den ich hineingerissen worden war. Eine magische Zeitfalle hatte mich aus dem zwanzigsten Jahrhundert in das frühe Mittelalter des amerikanischen Subkontinents gerissen. Ich war in der Tat in die Vergangenheit gereist. Unheimlich, so etwas.
Und doch wahr…
In der Gegenwart war ich nicht mehr existent. Mein Körper hatte sich in der Mumien-Gruft aufgelöst.
Ein irres Rechenexempel, das mit einem normalen Geist gar nicht zu verstehen war. Ich jedenfalls verstand es nicht.
Seltsam, daß mich im Angesicht meines Schicksals diese Gedanken durchströmten, dabei sollte ich lieber an den Tod denken, der mir dicht bevorstand.
Wenn sie mich jetzt töteten, würde ich dann auch in der Gegenwart tot sein?
Natürlich, dann gab es keinen John Sinclair mehr. Dann war ich verschwunden – aus, vorbei, ich existierte einfach nicht mehr. Jane Collins, Suko, Bill – all meine Freunde, meine Berufskollegen, mein Chef – für sie gab es mich nicht mehr.
Der Gedanke daran bereitete mir Angst. Große Angst sogar. Mein Kopf war von einem dumpfen Brausen erfüllt, und mir wurde schwindlig. In den Beinen hatte ich plötzlich Pudding, die Knie knickten mir weg, mir wurde übel.
Die zahlreichen Stimmen der um die Treppe versammelten Zuschauer hörte ich nur als dumpfes Brausen. Es wirkte auf mich wie mein Todesgesang.
Die vier Wärter stießen mich vor. Ihre Waffen hatten sie noch in den Gürteln stecken. Kurze Schwerter mit reich verzierten Griffen. Den Männern ging ich wohl zu langsam. Ich hörte kehlige Laute, in einer Sprache, die ich nicht verstand.
Ich sah den Altar jetzt genauer.
Er war sogar ziemlich groß, obwohl er aus der Distanz klein gewirkt hatte.
Ich starrte zu dem Steinblock hoch.
Noch lag die Tote darauf. Und hinter ihr standen die drei Priester. Drei Hohepriester, aus denen später Mumien geworden waren, die in der Gegenwart zu einem schaurigen Leben erwacht waren und die die Frau zum zweitenmal getötet hatten. Der Kreislauf war geschlossen. Juana Alvarez hatte beide Male ihr
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