0094 - Das Grauen lauert in Soho
geballte Faust blieb knapp vor Zamorras Kopf in der Luft hängen, als wäre sie gegen eine undurchdringliche Mauer gestoßen.
Die Wirkung des Zauberamuletts!
Wut und maßlose Enttäuschung malten sich auf die von Lastern gezeichneten Züge des Riesen. Glomm nicht auch ein Funken plötzlichen Verständnisses in seinen dunklen Kohleaugen? Erkannte dieses Wesen, daß es hier mit seinen dämonischen Kräften nicht mehr weiterkam?
Zamorra wollte seinerseits zupacken, wollte dem Monster das Mal Leonardo de Montagnes auf die Stirn brennen, wonach die meisten Wesen dieser Art zerfielen, ihre widernatürliche Existenz sich im Labyrinth der Zeiten auflöste.
Ein dumpfer, gequälter Schrei des Schmerzes und der Pein drang aus dem weit geöffneten Rachen. Dann eine blitzschnelle Reaktion, mit der Zamorra schon nicht mehr gerechnet hatte.
Das magische Silber vor Augen, ließ die Kreatur seine Beute im Stich, stieß ein tierisches Brüllen aus und warf sich mit hocherhobenen Händen über das niedrige Geländer der Feuerleiter, als wolle er davonfliegen wie ein riesenhafter Vogel.
Das Brüllen riß auch nicht ab, als das Wesen wie ein Stein und mit flatterndem Trenchcoat die letzten fünf Stockwerke in die Tiefe stürzte.
Deutlich vernahm Zamorra das Klatschen des Aufpralls. Er beugte sich in den Abgrund hinaus und Wurde so Zeuge, wie das Wesen sich erhob, als hätte es sanft und sicher aufgesetzt.
Mit fliegenden Mantelschößen verschwand der Hüne in einer Seitengasse und tauchte nicht mehr auf.
Keuchend wie ein alter Blasebalg sah Professor Zamorra ihm nach. Es hatte keinen Zweck mehr, die Verfolgung aufzunehmen.
Judy Pembroke schlug soeben die Augen auf.
***
Professor Zamorra war gezwungen, aus dem Stegreif eine Geschichte zu entwickeln, die er den Polizisten aus dem Streifenwagen auftischen konnte. Sie mußte einigermaßen plausibel klingen und andererseits auch nicht zu viel verraten, denn der Dämonenjäger hatte wenig Lust, sich den Rest der Nacht auf einem Polizeirevier um die Ohren zu schlagen, wo er sich mit von Okkultismus in jeder Erscheinungsform unbehauchten Polizeibeamten hätte auseinandersetzen müssen.
So zog er es vor, nichts von dem Sturz des Monsters zu erwähnen und auch nichts von seinem Amulett, das schon längst wieder hinter seinem Hemd verschwunden war.
Statt dessen tischte er die Geschichte auf, er hätte von George Wishers erfahren, daß eine seiner Angestellten einen der Bankräuber identifizieren könnte. Er hätte plötzlich das Gefühl gehabt, dieser Mann wolle die lästige Zeugin beseitigen. Das Abenteuer des Abends hätte ihm schließlich recht gegeben.
Die Cops im Streifenwagen sahen einen übergesetzlichen Notstand als gegeben und kreideten dem Professor aus Frankreich und seiner Sekretärin die Amokfahrt durch das nächtliche London nicht weiter an, nachdem auch Judy Pembroke Zamorras Angaben Punkt für Punkt bestätigte.
Das Mädchen wurde in ein nahegelegenes Krankenhaus gebracht. Der Schock, den sie davongetragen hatte, war ausschlaggebend für diese Maßnahme gewesen. Nicht die leichteren Schürfwunden und Prellungen.
Gegen zwei Uhr früh wurden Zamorra und Nicole entlassen. Todmüde fielen sie in ihre Hotelbetten. Der Morgen sah sie bereits wieder frisch geduscht und leidlich erholt. Zamorra führte Nicole in die Frühstückshalle des Sheraton. Es war acht Uhr vorüber.
Sie paßten sich der Landessitte an und verzichteten auf den ohnehin ungenießbaren Kaffee. Sie tranken Tee und wählten dazu ein amerikanisches Frühstück mit getoasteten Weißbrotscheiben, Eiern, Wurst und Käse.
Als Nicole mit wiederhergestelltem Appetit die letzten Krümel von ihrem Teller pickte, sah Zamorra Norna de Brainville und ihren Verlobten durch die Halle kommen. Er hob den Arm, um sich bemerkbar zu machen. Das junge, hübsche Paar nahm Platz.
Mit knappen Worten erzählte Zamorra, was er in der vergangenen Nacht noch erlebt hatte. Diesmal sprach er im Klartext. Er ließ nicht unerwähnt, daß es ein dämonisches Wesen gewesen sein mußte, das Judy Pembroke verschleppen hatte wollen und vermutlich ermordet hätte, wenn Zamorra nicht so unversehens dazwischengefahren wäre.
Norna de Brainville hörte mit steinerner Miene zu. Ein Zeichen von Schuldbewußtsein? Weil sie Kräfte der Finsternis für sehr profane Zwecke mißbraucht hatte?
Jake Brabham, ihr blonder, gutaussehender Verlobter, schien inzwischen eingeweiht zu sein. Er zog dasselbe betretene Gesicht wie seine Angebetete.
Zamorra
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