0095 - Am Mittag vor dem großen Coup
uns in unser Office und machten uns über Peggys persönliche Dinge her.
Glauben Sie nicht, daß es uns leicht gefallen wäre. Man stöbert nicht gern in den privatesten Dingen eines toten Menschen herum, den man sehr schätzte. Aber wir wußten, daß Peggy Verständnis dafür gehabt haben würde, wenn sie noch am Leben wäre.
Wir hatten ungefähr eine Stunde schweigend gelesen und gesichtet, als Phil sagte: »Ich geh’ mal rauf und sehe, ob das Fernschreiben aus Washington schon eingegangen ist.«
»Okay. Bring auf dem Rückweg das Material aus unserem Archiv mit!«
»Okay, Jerry.«
Phil hatte gerade das Zimmer verlassen, als das Telefon klingelte.
Mr. High meldete sich.
»Kommen Sie doch noch einmal in mein Office, Jerry«, sagte er.
»Sofort, Chef!«
Ich ging sofort hinüber. Roy und Kinderley waren wieder da. In den Sesseln saßen außerdem drei blasse Damen verschiedenen Alters. Die eine war noch ziemlich jung, so an die zwanzig, die älteste vielleicht sechsundreißig, die dritte ein paar Jahre jünger. Ich sagte artig guten Abend zu ihnen und erhielt höfliche Antworten.
Auf dem großen Tisch in Mr. Highs Zimmer lagen vier aufgeschlagene Wälzer von unserem Verbrecheralbum.
»Wie wir es uns gedacht hatten, Jerry«,sagte der Chef. »Lauter Vorbestrafte. Bis jetzt haben die Damen schon neun Gesichter erkannt. Genosse Steffens ist übrigens auch dabei.«
Ich rieb mir die Hände.
»Das ist großartig. Chef. Damit kennen wir ungefähr die Hälfte aller Gesichter. Ich denke, das reicht bereits aus, um eine Bundesfahndung aufzuziehen.«
»Ich bin der gleichen Meinung, Jerry. Aber bevor wir das machen, wollen wir noch zwei Stunden warten. Die Damen sind uneigennützigerweise bereit, weiter das mühselige Blättern im Album auf sich zu nehmen. Sie brauchen nur mal eine kurze Pause. Ich habe schon in der Kantine angerufen und Kaffee bestellt. Ich wollte Ihnen nur eines sagen, Jerry: Die gesamte Leitung der ganzen Angelegenheit habe ich jetzt offiziell von der Stadtpolizei übernommen. Dies ist ab sofort ein FBI-Fall. Und die Leitung der ganzen Sache übertrage ich Ihnen und Phil. Ich glaube, daß ich im Namen aller Kameraden spreche, wenn ich Ihnen sage, Jerry, daß wir alle Tag und Nacht zur Verfügung stehen, ohne Ansehen der Person und des Dienstranges. Ich gebe Ihnen mein Wort, Jerry, daß ich Ihnen in dieser Sache jede Hilfestellung geben werde, die Sie brauchen. Aber bringen Sie uns die Mörder von sechs unschuldigen Menschen…«
Mr. High sah mich an. Auf einmal fühlte ich, daß alle Blicke auf mir ruhten.
Ich zögerte eine Sekunde. Dann trat ich einen Schritt vor und gab dem Chef die Hand. Wir sprachen kein Wort. Aber mit diesem Händedruck wurde das Schicksal einer ganzen Bande besiegelt.
***
Als ich ins Office zurückkam, saß Phil bereits wieder hinter seinem Schreibtisch und studierte Peggys Briefe. Ich unterrichtete ihn kurz über das, was der Chef eben gesagt hatte.
Phil nickte nur.
Plötzlich kam mir eine Gedanke. Ich suchte aus Peggys Sachen das eine große Fotoalbum heraus und verschwand damit. Ich fuhr hinauf in die Kantine. Roy saß mit Kinderley und den drei Damen bei kräftigem Mokka.
»Entschuldigung«, sagte ich. »Darf ich Sie für drei Minuten bei Ihrem Kaffee stören, meine Damen? Würden Sie so freundlich sein, eben gemeinsam dieses Fotoalbum durchzublättern.«
Sie schoben ihre Tassen zurück und rückten zusammen. Ich legte ihnen das Album auf den Tisch und setzte mich.
Gespannt beobachtete ich sie. Langsam wandten sie Blatt um Blatt um. Ihre Gesichter waren konzentriert und nachdenklich. Mir fiel plötzlich ein, daß sie alle drei eines gemeinsam hatten: Alle drei hatten heute früh ihren Chef ermordet in seinem Arbeitszimmer liegen sehen. Es mußte furchtbar für sie gewesen sein. So ein Anblick ist schon für einen G-man nichts, und der ist so etwas schließlich von Berufs wegen gewöhnt, aber erst für Frauen…?
Kinderley und Roy schlürften nur stumm an ihrem Kaffee. Ich steckte mir eine Zigarette an und beobachtete schweigend die drei Frauen. Plötzlich sah ich, wie sich eine verfärbte: »Der!« rief sie entsetzt. »Der war dabei!«
Sie zeigte auf ein Bild. Peggy mit einem unbekannten Mann irgendwo an einem Badestrand.
»Vielen Dank«, sagte ich. »Das wollte ich nämlich nur wissen.«
Ich nahm mir das Album wieder und ging in die Lichtbildstelle. Wie in jeder Abteilung unseres Hauses, gab es auch dort einen Nachtdienst.
»Wahrscheinlich wirst du heute
Weitere Kostenlose Bücher