0096 - Die Seelenfänger
voraus, ohne sich umzusehen. Anscheinend kümmerte sie sich gar nicht darum, ob das Mädchen folgte.
Als Nicole aber stehenblieb, weil sie Bedenken hatte und die alte Frau sich harthörig erwies gegenüber allen dringenden Fragen, hielt auch die Frau inne und sagte wütend: »Machen Sie kein Theater!«
»Ich weiß nicht…« erwiderte Nicole zögernd.
Was war, wenn sie in eine Falle gelockt werden sollte? Hatte Zamorra nicht ausdrücklich gewarnt, niemand solle das Zimmer verlassen? Den Raum, den Angus Mavick mit einer Vielzahl selbstgefertigter Kruzifixe aus allem möglichen Material zu einem Bollwerk gegen die Mitglieder der Sekte verwandelt hatte?
Das Verhalten von Miß Dono van wandelte sich urplötzlich.
Sie wirbelte herum, schoß wie eine wütende Krähe auf die zierliche Französin los und packte sie brutal in den Haaren.
»Ich habe sie!«, kreischte das Weib. »Schnell, gib ihr den Rest.«
Ihr Mann stürzte aus seinem Versteck. Ruckartig flog eine Schranktür auf. Mit hocherhobenem Dolch fiel Donovan sein Opfer an, um es zu töten.
Der Mörder hob mit fratzenhaft verzerrtem Gesicht die blitzende Waffe, während seine Linke sich um den Hals der Französin krampfte.
Nicole kämpfte sich schulmäßig frei. Zunächst schaltete sie durch Rammstoß mit dem Knie die kreischende, Gift und Galle spuckende alte Frau aus. Stöhnend sackte Donovans Weib zusammen.
Die Messerhand des Angreifers blockte Nicole Duval mit dem Unterarm ab. Aber sie hatte nicht genügend Raum, um die Aktion sinnvoll abzuschließen. Sie konnte keinen Hüftschwung ansetzen.
Im Gegenteil. Der Schwung des Angreifers warf sie zurück.
Donovan, knapp so groß wie das Mädchen, aber wesentlich kräftiger, versuchte, die Hand mit dem Dolch freizubekommen.
Verzweifelt hielt Nicole sein Handgelenk fest, während sie gleichzeitig verbissen darum kämpfte, sich freizumachen, mehr Bewegungsspielraum zu gewinnen. Was ihr aber nicht gelingen wollte.
Unbändiger Haß funkelte in den Augen des Mannes. Sein Atem ging keuchend. Das Weiß seiner Augen war von einem blutigroten Schleier eingetrübt.
Die Entscheidung schien gefallen, als die Frau des Gastwirtes dem Mädchen hysterisch die Beine wegriß und Nicole zu Fall brachte.
Nur knapp verfehlte beim anschließenden Sturz das Messer Donovans ihre Kehle. Aber der Mann lag jetzt über ihr, nagelte sie am Boden fest mit dem Gewicht seines Körpers und erneuerte seinen Versuch, das Messer ins Ziel zu bringen.
Fast rutschten Nicoles Finger von seinem Handgelenk. Er drehte die Messerhand und zerrte wild, um freie Bahn zu erlangen.
Nicole spürte, wie ihre Kräfte schwanden.
Lange konnte sie sich der wütenden Angriffe nicht erwehren. Zumal die Alte wieder eingriff.
»Warte, ich halte ihren Kopf«, keuchte das Weib.
»Nimm ihre Hände, damit ich sie mit dem Dolch kitzeln kann«, preßte Donovan hervor. »Sie muß sterben.«
»Angus!«, brüllte Nicole. »Angus, so hilf mir doch!«
Sie kämpfte hinter einem Knick des Korridors mit den Angreifern und konnte das Zimmer nicht sehen. Aber sie wußte, daß die Tür noch immer offenstand. Angus Mavick mußte sie hören! Warum tauchte er nicht endlich auf? Dieser verdammte Feigling!
Die Angst vervielfältigte Nicoles Kraft, aber sie konnte sieh des geballten Ansturms nicht mehr erwehren.
Das Ehepaar schien das richtige Konzept gefunden zu haben und arbeitete vorbildlich Hand in Hand.
Die Frau zerrte Nicoles Arme herunter und kniete sich darauf.
Der Mann hing im Reitersitz über seinem Opfer. Sein Gesicht verzog sich zu einem teuflischen Grinsen. Er visierte mit der nadelscharfen Spitze des Dolches den Hals des Opfers an.
Da flammte das Licht im Flur auf.
Überall in den Nischen standen Kerzen, die man nur anzuzünden brauchte. Streichhölzer lagen stets daneben.
Angus Mavick hatte sich eine Leuchte geschnappt.
Zähneklappernd kam er um die Ecke.
Sein Blick fiel auf die rasende Furie, die Nicole niedergerungen hatte. Das graue Haar hing der Frau strähnig ins Gesicht.
Der Schatten des Mörders mit dem Dolch fiel riesengroß an die Wand.
»Verschwinde, Angus!«, knurrte Donovan nur, ohne den Störenfried anzusehen.
Seine Frau aber keifte: »Du bist der nächste, Verräter!«
Dabei warf sie ihm einen wilden Blick zu.
Mit einem halberstickten Schrei ließ sie die Arme von Nicole los. Sie fuhr hoch, als habe sie sich in einem Ameisenhaufen niedergelassen. Abwehrend hob sie den Arm vor das Gesicht und wich knurrend zurück wie ein Schlittenhund
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