0096 - Die Seelenfänger
Ist Ihnen noch nie aufgefallen, daß niemand im Dorf Post erhält? Weder geht jemals ein Brief nach draußen, noch kommt einer den umgekehrten Weg.«
»Warum das?«
»Fragen Sie die da. Sie kennt sich im Teufelskult besser aus.« Mavick wies auf das schüchterne Mädchen, das mit gesenktem Haupt unbeweglich vor Zamorra stand. »Ich habe alles vergessen. Seit ich dieses Zeichen hier trage, ist alles wie ausgebrannt. Aber Debbie könnte mal aus der Schule plaudern. Jedenfalls, wenn Sie annehmen, daß Debbie Ihnen wirklich helfen soll, müssen Sie das von ihr verlangen.«
»Nun, was ist Debbie?« fragte Nicole ungehalten.
Die Kleine hob den Kopf und schaute Nicole starr an.
»Ich wollte es nicht verschweigen«, begann sie ruhig. »Alle hier wissen es. Die meisten Kinder werden geopfert. Oben im Turm.«
»Weißt du, was du da behauptest?«, fuhr Zamorra auf.
»Niemand ist jemals ausgewandert oder nach London gegangen oder sonstwo hin. Sie sind umgebracht worden. Von den eigenen Eltern. Zu Satans Ehren.«
»Da habe ich nur noch eine Frage: warum lebst du?«, forschte Nicole, nachdem sie sich von dem Schreck erholt hatte.
»Weil ich die siebente Tochter einer siebenten Tochter bin. Nur diese Kinder überleben. Gleich, welchen Geschlechtes. Aber die Mädchen sind wertvoller. Er ist der siebente Sohn eines siebenten Sohnes. Er hat Verrat geübt, behauptet meine Mutter.« Sie wies auf Angus.
»Sie hat dich in alles eingeweiht?«, wunderte sich Zamorra.
Wenn die Kleine wirklich ihn in einen Hinterhalt locken wollte, wie durfte sie dann so offen sein und aus der Schule plaudern? War sie durchtriebener als angenommen? Oder nur naiv?
»Meine Mutter erzählt mir viel von dem Turm. Sie ist oft dort oben«, gestand das Mädchen und schaute unverwandt entweder Zamorra in die Augen oder in die seiner Sekretärin. Niemals blickte sie Angus Mavick an. Sie ließ ihren Blick auch nicht abirren.
»Und du auch nicht? Oder warst du schon dort?« setzte Nicole das Verhör fort. Sie tat es so hitzig, daß jeder merkte, was sie angesichts des hübschen Mädchens fühlte, das sich angeboten hatte, Zamorra auf seinem gefahrvollen Erkundungsgang zu begleiten.
»Nein«, schüttelte Debbie entschieden den Kopf und schaute unbeirrt auf Nicole. »Ich habe die Weihen noch nicht empfangen. Ich will auch gar nicht.«
»Was meint deine Mutter dazu?« erkundigte sich Zamorra.
»Sie sagt, ein Jahr hätte ich noch Zeit, aber dann könne sie mir auch nicht mehr helfen. Ich müßte tun, was alle siebenten Töchter der siebenten Töchter tun.«
»Erstaunlich«, murmelte Zamorra und wandte sich wieder an Angus Marvick, der gerade seine Vorbereitungen beendet hatte. »Nehmen Sie einen Brief mit, Angus? Ich schreibe einem Freund. Er soll mir Hilfe bringen. Ich weiß nicht, ob ich ihn brauche, aber bestimmt benötige ich ein bestimmtes Buch. Man kann nicht alles im Kopf behalten. Es gibt da gewisse Zeremonien, denen Malkin selbst nicht gewachsen wäre.«
Zamorra warf ein paar Zeilen auf ein Blatt Papier. Er richtete die dringendendste Botschaft an seinen Freund Bill Fleming, so schnell wie möglich zu kommen. Der Amerikaner, Historiker und beileibe kein Amateur, was die Parapsychologie betraf, konnte eine unschätzbare Hilfe sein im Kampf gegen die finsteren Kräfte, die Daunton fest im Griff hatten und alles taten, um jede Aufklärung oder auch Widerlegung der herrschenden Irrlehren zu verhindern.
Mavick wartete nervös.
Debbie Hogg starrte auf Nicole Duval. In ihr sah sie eine Rivalin um die Gunst Zamorras. Und niemand kann durch Schweigen ein solches Maß an Feindseligkeit ausdrücken wie eine Frau.
Zamorra beschriftete indes einen blauen Umschlag, klebte ihn sorgfältig zu und gab dem Schotten reichlich Geld.
»Ich verlasse mich auf Sie. Vergessen Sie ja nicht, sofort den Brief einzuwerfen, sobald Sie die Zivilisation erreicht haben. Wenn Sie auch nur eine Spur von Dankbarkeit empfinden, nachdem ich Sie gerettet habe, tun Sie mir den Gefallen und unternehmen alles, damit dieses Schreiben den Empfänger erreicht.«
»Ist doch klar. Geht in Ordnung«, gelobte Angus Mavick. Er schien heilfroh, das sinkende Schiff verlassen zu dürfen. Das Geld Zamorras würde ihm einen neuen Start ermöglichen.
Niemand zweifelte daran, daß Mavick es ernst meinte.
Der Mann schob das Couvert vorsichtig ein und verabschiedete sich dann. Nicht ohne die Mahnung, noch stehe es allen Beteiligten frei, die Flucht dem sicheren Untergang vorzuziehen.
»Ich bedaure
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