0096 - Die Seelenfänger
unbekannten Meteoriten? Wie erklärt sich die Ausstrahlung? Durch die Gesetze der Physik niemals. Da bin ich sicher. Da reicht weder Metaphysik noch irgendeine andere spekulative Geisteswissenschaft, die bekannt und anerkannt ist. Das ist Schwarze Magie. Ein höllisches Mysterium. Steingewordenes Nichts. Chaos. Unmenschliche Schrecken entfalten sich vor meinem inneren Auge.
Ich fühle mich wie ausgenommen. Ausgebrannt. Ja, das ist der richtige Ausdruck. Der Anblick hat mein Herz verkohlt. Es ist ein dicker gefühlloser Lumpen geworden in meiner Brust. Ich bin kein Mensch mehr. Etwas Unwiderrufliches ist geschehen. Meine bösen Ahnungen haben nicht gelogen. Wer dieses Bauwerk betritt, ist erledigt. Wer aber den Altar sieht, ist der Verdammnis nahe. Die sich hinreißen lassen, den magischen Stein zu betrachten, sind für immer verloren.
Habe ich überhaupt noch ein Interesse daran, dieses Dorf zu verlassen? Bin ich nicht eingeweiht in die Mysterien Satans? Kann man mit einem solchen Wissen später überhaupt noch ein normales Leben führen? Was ist überhaupt normal? Ich denke, ich gehe wieder hin. Ich habe keine Lust mehr, zu schreiben. Aufzuzeichnen, was mir widerfahren ist. Warum sollte ich andere warnen? Jeder mag sich selbst entscheiden. Die Bewohner von Daunton haben es auch getan. Ich werde mich ihnen anschließen. Für diese Welt bin ich verloren. Niemand deckt ungestraft das Geheimnis auf. Ich werfe das Buch weg. Meine Aufzeichnungen bedeuten mir wirklich nichts mehr. Mögen die Seiten verrotten. Soll der Wind lesen, was ich diesem Papier anvertraut habe, als ich noch ein anderer war. Ich gebe auf. Was habe ich noch zu verlieren?«
Nicole schwieg.
»Die Notizen werden jetzt unleserlich und reißen zwei Zeilen weiter völlig ab«, erklärte sie.
Zamorra nickte verständnisvoll.
»Willst du immer noch hingehen?«
»Ich muß. Jetzt habe ich gar keine Wahl mehr. Ich werde den Fluch von Daunton nehmen. Ich will diesen magischen Stein vernichten. Mit Hilfe meines Amuletts werde ich ihn besiegen. Das Licht muß siegen«, erwiderte Zamorra ernst.
In diesem Augenblick ertönte draußen der Dudelsack. Die Melodie klang böse und aggressiv. Als blase der Satan, selbst zur letzten Schlacht.
Mittlerweile kannte Zamorra den Ursprung dieser höllischen Musik. Daher war er nicht erstaunt, als er ans Fenster trat und draußen der Schotte vorbeimarschierte. Dieses rothaarige Monstrum mit dem teigigen Teint eines Untoten, Der Dudelsackbläser folgte keineswegs der Dorfstraße. Obgleich seine schrille Musik so deutlich in den Gasthof gedrungen war, als halte sich der Urheber unmittelbar vor dem Fenster auf.
Der rätselhafte Künder nahenden Unheils marschierte querfeldein, außerhalb des letzten Gehöftes, fernab vom Jaulen der Hunde, die sich zitternd in ihre Hütten verkrochen.
Zamorra ließ sich sein Fernglas geben.
Er holte den Unbekannten dicht heran.
Wieder erkannte er die kurze schwarze Jacke, den Kilt, also den Faltenrock mit dem rotschwarzen Clanmuster und die kleine bebänderte Mütze mit tiefer Längsfurche. Der Namenlose trug außerdem die charakteristischen Kniestrümpfe mit Troddeln.
Die Augen zeigten das Weiße. Wie in Trance ging der Hüne auf und ab, seine schauerliche Melodie wechselte von Reel auf Fling, ging über in die Weise eines alten Schwerttanzes und spielte schließlich auf zur Ekossaise, einem schottischen Tanze.
Aber nur der Musikant selbst konnte bei diesem verfremdeten Gedudel Lust verspüren, die Füße im Takt zu setzen. Er wiegte sich in den Hüften.
Merkwürdig triumphierend klang diesmal die Musik.
Aus dem Schatten des gegenüberliegenden Gebäudes löste sich Debbie Hogg. Stumm winkte sie Zamorra, lud ihn ein zum nächtlichen Ausflug zum Turm des Bösen. Einer Reise, die möglicherweise keine Wiederkehr kannte. Auffordernd bewegte sich dabei die schneeweiße Hand der hübschen Schottin. Ihr flammendrotes Haar flatterte im Abendwind.
Die Schatten wurden länger.
Ein letzter verglühender Sonnenschein schwebte wie eine Girlande aus Blut um die Felsnadeln, die im Volksmund ›Devils Fork‹ (Gabel des Teufels) genannt wurden.
Aber Zamorra ließ sich nicht ins Bockshorn jagen. Er übersah nicht die stumme Drohung dieses Abends. Der Glaube an die eigenen Kräfte, die Zuversicht, sein edles Ziel zu erreichen und das Vertrauen auf seinen Talisman gaben ihm Kraft.
Er richtet das Glas auf Debbie Hogg.
Sie hatte es bemerkt und lächelte jetzt.
Zwischen roten Lippen glänzten zwei
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