0096 - Die Seelenfänger
Reihen fester weißer Zähne so erwartungsvoll, als warte ein weiblicher Vampir auf das Hochzeitsmahl.
Er winkte zurück und ließ das Glas sinken.
»Es ist soweit, Nicole«, meinte der Professor.
»Das klingt wie ein ewiger Abschied«, begehrte die Französin auf.
»Du bist doch nicht etwa abergläubisch«, scherzte der Professor.
»Davon kann keine Rede sein. Ich weiß, daß sehr reale Gefahren drohen, auch, wenn sie magischen Ursprungs sind«, gab die Sekretärin gereizt zurück. Sie hatte Angst. Das war nicht zu übersehen. Angst um sich und ihre Zukunft. Angst aber auch um Zamorra.
»Wenn ich vor ein paar Jahren zu einem solchen nächtlichen Ausflug aufgebrochen wäre, hättest du mich gebeten, dir ein paar Werwölfe mitzubringen, wenigstens aber einen klitzekleinen Ghul«, versuchte Zamorra seine Begleiterin aufzumuntern.
»Inzwischen habe ich gelernt, diese Dinge ernster zu nehmen. Weil sie mir häufiger begegnet sind, als mir lieb sein kann«, erwiderte Nicole ernst. In einem plötzlichen Entschluß nahm sie ihr Kruzifix vom Hals, hängte es Zamorra um und fiel ihm in die Arme.
»Beruhige dich«, flüsterte der Professor. »Das Gute steht auf unserer Seite. Es wird siegen.«
***
Zamorra begegnete seinem Wirt und dessen Frau auch diesmal nicht, Donovan legte die größte Zurückhaltung an den Tag. Er stellte zwar pünktlich die Mahlzeiten vor die Tür, klopfte, zog sich aber dann zurück, ehe jemand ihn stellen konnte.
Was er brachte, schmeckte. Er versuchte weder, seinen unbequemen Gast mit Gift zu traktieren noch mit Betäubungsmitteln. Aber sein Verhalten blieb unerklärlich für jemanden, der nach außen hin wenigstens von der Vermietung weniger Fremdenzimmer lebte.
Zamorra verließ das Haus.
Er wußte, daß Nicole ihm nachschaute und winkte aufmunternd, ehe Debbie Hogg zu ihm trat.
»Sie mag Sie, nicht wahr?« forschte die Schottin.
»Sehr«, bestätigte Zamorra. »Umgekehrt aber auch.«
»Warum heiratet ihr nicht?«
»Eine gute und vor allem naheliegende Frage. Es wird einfach so sein, daß ich wenig Zeit habe.«
»Ein Professor der Parapsychologie?« lachte Debbie. »Der schafft doch einfach alles.«
»Woher weißt du, womit ich mich beschäftige?«
»Das ist doch nicht schwer zu erraten, nach allem, was Sie hier im Dorf treiben. Und außerdem habe ich meine Mutter gefragt.«
»Die wußte, was Parapsychologie ist?«
»Warum denn nicht. Jetzt weiß ich es auch. Parapsychologie ist der Versuch, Dinge wissenschaftlich zu erfassen, die gar nicht für den Verstand bestimmt sind.«
Zamorra lachte.
»Sehr gut. Das werde ich mir merken. Obgleich wir das auf der Universität unseren Studenten ganz anders erklären. Etwa so: Parapsychologie ist die Psychologie der okkulten seelischen Erscheinungen.«
»Das ist mir zu kompliziert.«
Debbie schritt schneller aus.
Das Dorf lag in einem Seitental, abgeschlossen von Weg und Steg, auf dem tiefsten Punkt des Geländes. Das Terrain stieg bis zur Teufelsgabel ständig an und wurde bisweilen ausgesprochen schwierig. Es gab Stellen, wo der schweißtreibende Spaziergang in eine Kletterpartie ausartete.
Zamorra hielt sich keineswegs für unsportlich. War auch einigermaßen trainiert. Aber so leicht wie Debbie nahm er die Hindernisse nicht. Sie kletterte wie eine Katze. Sie schien Saugnäpfe an den Füßen zu haben wie ein Gecko. Unterwegs brachte sie es noch fertig, sich umzudrehen und ihren Gefährten auf besonders günstige Trittstellen aufmerksam zu machen. Sie umhegte ihn wie eine Glucke ihr Küken. Blieb stehen, sobald er zurückblieb.
Auf halber Strecke bat Zamorra um eine Rast.
Er setzte sich auf einen Felsblock und schaute talwärts, während das Mädchen es vorzog, stehenzubleiben.
Ihr Atem ging so ruhig wie immer. Sie wäre jedem Tempo gewachsen gewesen. Aufmerksam, fast ein wenig spöttisch betrachtete sie den Professor und meinte plötzlich doppeldeutig: »Ich hoffe, Sie haben sich nicht zuviel zugemutet.«
»Ich denke nicht«, meinte Zamorra ärgerlich.
Tief unter ihm, am Fuße des steilen Hanges, lag Daunton, eingehüllt in das Leichentuch der Nacht.
Dann tauchten dort viele winzige Lichtpunkte auf. Fackeln!
Das Dorf schien wieder einmal keine Ruhe zu finden. Was ging da vor? Mit Bangen dachte Zamorra an Nicole, die er schutzlos zurückgelassen hatte. Dann schalt er sich einen Narren. Was sollte einer so aufgeweckten und resoluten Person wie Nicole Duval schon passieren? Er selbst setzte sich mit diesem Marsch zum Turm einer
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