0096 - Die Seelenfänger
die Einzelheiten zu einem Bild, das klar aus dem Nebel hervortrat: da schaukelte ein Gehenkter im Wind.
Der Tote hing am starken Ast einer Kiefer.
Die Fußspitzen war auf eine so unnatürliche Art nach innen gestellt, daß kein Zweifel bestand: dieser Mann war lange tot und nicht mehr zu retten.
Noch dichter ging Zamorra heran, wohl er schon etwas ahnte. Es gab keinen Zweifel: die Flucht des Angus Mavick hatte ein dramatisches Ende genommen.
Vergeblich suchte Zamorra nach Spuren, die ihm erzählten, wie Mavick geschnappt worden war. Weder gab es Spuren eines Kampfes noch die geringsten Hinweise auf die Täter.
Es blieb die Tatsache, daß Angus Mavick die Freiheit, die er gesucht, nicht mehr gefunden hatte. Oder wenigstens auf eine andere Art, als ihm vorgeschwebt hatte.
Debbie Hogg stand mit gekreuzten Armen unter dem Galgen und starrte ungerührt zu dem Toten hinauf. Kunststück! Jetzt konnte sie den Anblick wieder ertragen. Dort, wo vorher das eingebrannte Kruzifix auf der Stirn Mavicks gesessen hatte, prangte jetzt deutlich der Abdruck eines Hufes.
Krähen lärmten im Geäst. Sie ließen sich durch die beiden Menschen nicht beirren.
Wütend jagte Zamorra die schwarzen Vögel fort.
Sorgsam nahm er Angus Mavick herunter, legte ihn auf die Erde und schaute sich suchend um.
»Wollen Sie ihn etwa erst bestatten?«, fragte Debbie erstaunt. »Sie glauben doch nicht, daß wir solange Zeit haben. Da kehre ich am besten gleich um. Aus dem Besuch beim alten Turm wird nichts.«
»Wir können ihn unmöglich dem Raubzeug des Waldes überlassen«, protestierte Zamorra. »Sie werden sich doch wenigstens solange gedulden, bis ich wenigstens ein paar Steine gesammelt und ihn damit geschützt habe. Wenn Sie mit anfassen, geht es übrigens schneller.«
»Ich fühle mich für diesen Mann nicht zuständig«, lehnte das Mädchen kühl ab. Debbie lehnte sich mit dem Rücken gegen den Baum, von dem Zamorra das unglückliche Opfer der rachsüchtigen Sekte abgenommen hatte und schaute stumm zu, wie der Professor sich abmühte.
Mangel an Steinen gab es nicht. Zamorra wälzte sie aus allen Himmelsrichtungen heran und türmte sie über dem Leichnam auf. Dann fertigte er aus zwei Ästen ein einfaches Kreuz.
Hatte Debbie Hogg bislang schweigend, scheinbar gleichgültig zugeschaut, so wurde sie jetzt heftig.
»Es wird wirklich Zeit«, drängte sie, ging schon ein Stück weiter und wartete mit abgewandtem Blick, daß Zamorra ihr folgte. Sie ertrug den Anblick des Kruzifixes nicht. Gab es einen klareren Beweis, auf welcher Seite sie stand?
***
Nicole Duval schaute Zamorra nach, wie er langsam in Begleitung der hübschen Debbie Hogg verschwand. Es war nicht nur ein Gefühl der Eifersucht, das die Sekretärin des Professors plagte. Mehr noch ein unbestimmtes Ahnen, daß Gefahr drohte. Nicht nur dem Professor, sondern auch ihr. Und natürlich Angus Mavick.
Unmöglich, Ruhe zu finden. Unmöglich auch, sich durch Lesen abzulenken. Nicole machte sich auf eine lange Nacht gefaßt. Ehe nicht Zamorra zurückgekehrt war, würde sie kaum zur Ruhe kommen.
Tatsächlich ergriff die andere Seite die Initiative. Auf eine so geschickte und diskrete Art, daß Nicole Duval prompt darauf hereinfiel.
Debbies Mutter tauchte auf.
Bereits im Treppenhaus machte sie einen Riesenlärm. Beschuldigte den Professor, hinter ihrer Tochter her zu sein und die Arglosigkeit des Mädchens, auszunutzen.
»Dieser Wüstling!«, schimpfte Miß Hogg. »Erst heute nachmittag mußte ich ihm auf die Finger klopfen. Und jetzt finde ich das Bett meiner Tochter leer. Debbie ist verschwunden. Na, wo wird sie schon sein? Natürlich bei diesem Charmeur. Mit den Blicken verschlungen hat er sie, meine arme Kleine.«
Ein Schniefen dröhnte durch das Gebäude, weil Moira Hogg ihrem Kummer Ausdruck geben mußte und dazu stehen blieb. Vorher hatte das Stampfen des Schwergewichtes jedes Nebengeräusch übertönt. Die Treppe hatte unter der Belastung geächzt.
Nicole lief zur Tür und riß sie ärgerlich auf.
»Wie können Sie sich unterstehen, den Professor zu verdächtigen?«, schrie die Französin. »Debbie ist bei ihm. Das ist richtig. Aber sie sind nur hinaufgegangen zum Turm.«
»Zum Turm? Mitten in der Nacht, wie?«
Miß Hogg stemmte ihre Arme in die Hüften.
»Wir leben in Daunton vielleicht hinter dem Mond, meine Teure. Aber zwei und zwei können wir doch zusammenzählen.«
Moira Hogg wurst blaß und dann puterrot. Wobei es unklar blieb, was sie mehr geschafft hatte:
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