0096 - Die Seelenfänger
aktiv werden könnte gegen Satan und seine Anhänger.«
»Puh, als ob ich Angst hätte vor dem Turm. Was soll mich dort schon Unerhörtes erwarten?«
Nicole stemmte die Hände in die Hüften und schaute Zamorra herausfordernd an. »Eine Frau muß doch nicht feiger sein als ein Mann«, fügte sie spitz hinzu.
»Natürlich nicht«, räumte der Professor ein. »Das habe ich auch nicht behauptet. Und was diesen vermaledeiten Turm betrifft, so können wir uns ja in dem Tagebuch informieren, das mir in die Hände gefallen ist. Komm, im Augenblick gibt es keine dringende Arbeit. Wir wollen die Schrift studieren, damit wir eventuell erfahren, was mich dort oben erwartet.«
»Ich werde lesen«, entschied Nicole.
»Das habe ich auch nicht anders erwartet«, lächelte Zamorra. »Wozu halte ich mir eine solch teure Sekretärin?«
»Dir wird das Lachen schon noch vergehen«, drohte die zierliche Französin, setzte sich und schlug das Buch auf.
Sie mußte sich erst an die Handschrift des unbekannten Verfassers gewöhnen. Der Mann mußte die Zeilen nicht nur in höchster Eile zu Papier gebracht haben, sondern in einem ganz verzweifelten Seelenzustand. Die Buchstaben waren krakelig und schwer zu entziffern. So, als löse sich der Verstand des Verfassers bereits auf. Als nahe das Ende.
***
»Der Himmel verdunkelt sich. Ein kalter Wind geht. Ich friere bis ins Mark. Und doch steht kalter Schweiß auf meiner Stirn. Ein Sturm braut sich zusammen. Überall sind plötzlich Krähen. Sie zirkeln um den Turm wie Wächter Malkins. Ihr Geschrei ist unerträglich. Kein Wunder, daß Naturvölker in diesen schwarzen Vögeln die Seelen Verstorbener erkennen, Sie fliegen durch die Luft wie Kohlenbrocken. Werden sie mich angreifen? Wollen Sie mich daran hindern, das Bauwerk zu betreten? Dabei habe ich den Eingang noch nicht entdeckt.«
Nicoles Stimme klang ruhig und gefaßt, als verlese sie den Geschäftsbericht einer Firma. Sie wollte beweisen, wie kühl sie derlei Dingen gegenüberstand und sich niemals zu Emotionen hinreißen ließ. Wahrscheinlich hoffte sie noch immer, Zamorra werde seine Ansichten revidieren und sie mitnehmen zu Malkins Turm.
»Ich habe das dumpfe Gefühl, auf der richtigen Spur zu sein«, las Nicole weiter. »Ich folge einem verwilderten Weg, der scheinbar von dem Bauwerk wegführt, aber verrät, daß unzählige Füße ihn in den festen Grund getreten haben. Eine Art Trampelpfad, den die Anhänger der scheußlichen Sekte seit altersher ziehen, um in den Turm zu gelangen. Der Einstieg muß irgendwo unter der Erde liegen. Tatsächlich, an den beiden Birken, die ein V—Zeichen bilden, entdecke ich eine Höhle, die ich betrete. Am Ende geht sie in einen Gang über, den ich mit eingezogenem Kopf gehen muß, obgleich ich nicht groß bin, höchstens fünf Fuß. Der Stein ist glatt und feucht. Was muß es für eine Arbeit gekostet haben, diesen Tunnel in den Fels zu schlagen. Die Leute haben sicher nicht mit Sprengstoff gearbeitet. Irgend etwas warnt mich, weiterzugehen. Noch könnte ich umkehren. Ob ich Daunton gesund verlasse, steht allerdings dahin. Was habe ich also zu verlieren? Ich zwinge mich, weiterzugehen, meinen Weg durch das unterirdische Labyrinth fortzusetzen. Wenn ich mich nicht täusche, marschiere ich schnurstracks auf den Turm los. Was erwartet mich? Werde ich Gelegenheit haben, meine Beobachtungen jemals zu Papier zu bringen?«
Nicole hielt inne.
»Weiter«, drängte Zamorra. »Das Tagebuch ist unbezahlbar. Ihm verdanke ich nicht nur die Gewißheit, daß das merkwürdige Gebäude nicht nur in meiner Phantasie existiert, sondern auch den Hinweis, wo ich den Einstieg zu suchen habe.«
Nicole fuhr gehorsam fort.
»Ich muß mich durch einen schmalen Spalt schieben, dunkel wie ein Höllenloch. Eine dunkle Macht lockt mich in das Innere des Turms. Ich denke nicht mehr an Umkehr. Ich will mit eigenen Augen das Zentrum des Schreckens, sehen. Diese Satanisten schrecken vor nichts zurück. Was für ein Dämon haust in diesem finsteren Gemäuer? Die Priester warnen vor diesem Blendwerk. Sie sagen, daß dort entsetzliche Sünden begangen werden. Die Mächte der Verdammnis herrschen in diesem schmucklosen hohen Raum. Malkins Geist schwebt über den Dingen. Ungeheure Erscheinungen werden aus der Hölle herbeizitiert und beschworen. Wer könnte diese Kräfte bannen? Ich bin zu schwach. Werde ich es überstehen, sie nur anzusehen? Ihre Gegenwart nur zu spüren? Furchtbares Unheil erfährt jeder, der sich ungerufen
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