0099 - Hexennacht
Boden und bissen ihn mit ihren Vampirzähnen…«
»Das ist ja entsetzlich«, hörte Nicole das Mädchen aufschreien. »Und was ist aus Mr. Webster geworden?«
»Eine Puppe«, schrie Harriet Gilbert mit einem solchen unheimlichen Tonfall, daß Nicole Duval eine Gänsehaut bekam. »Sie haben ihm den letzten Tropfen Blut ausgesaxigt, dann schrumpfte er zusammen zur Größe einer Puppe…«
Lange Zeit hörte Nicole das junge Mädchen nicht sprechen. Endlich vernahm sie ein haltloses Weinen.
Harriet Gilbert ließ es geschehen. Sollte sie ruhig flennen, die Kleine. Die Tränen halfen ihr nichts. Ihr Schicksal war besiegelt.
***
Auf einem Hügel über dem Palomar Mountain State Park — etwa hundert Meilen südöstlich von Los Angeles — stand ein eleganter, langgestreckter Atriumbungalow mit großem Innenhof, in dem ein Swimming-pool und eine große Terrasse untergebracht waren.
Diesen Besitz hatte sich Harriet Gilbert im vorigen Jahr gekauft, doch im Sommer stand er immer leer, es war einfach zu heiß hier oben.
Heute aber hatte sie sich an das Haus erinnert und hoffte, daß niemand auf die Idee kommen würde, sie hier zu suchen, denn nur die wenigsten Leute wußten von diesem Besitz.
Nachdem ihr Sportwagen in der Garage mit selbsttätigem Schwingtor verschwunden war und das Tor sich wieder automatisch geschlossen hatte, ahnte Nicole, daß sie jetzt in einer Falle saß, aus der es schwer ein Entkommen geben würde.
Aber sie hatte June Atkins nicht einfach ihrem Schicksal überlassen können.
Sie lauschte atemlos und hörte, wie die Schauspielerin dem Starlet befahl, auszusteigen.
»Was haben Sie denn mit mir vor, Miß Gilbert?« jammerte das Mädchen und weinte auf.
»Wir warten, bis sie kommen, was sonst? Aussteigen, sonst hole ich dich eigenhändig aus dem Wagen!«
Offenbar gehorchte June jetzt der Aufforderung. »Was hat Sie nur so böse gemacht?« stammelte sie. »Sie haben doch alles, was Sie sich wünschen können.«
»Zum Philosophieren hab’ ich keine Zeit. Komm…«
Nicole hörte ein Summen, öffnete den Spalt etwas mehr und sah, wie die beiden Frauen in einen Fahrstuhl stiegen und hochfuhren.
Sie klappte den Kofferraumdeckel weiter auf und stieg heraus. Sie war ganz steif von der gebückten Haltung und machte Lockerungsübungen.
Es gab ihr- zu denken, was Harriet der jungen Schauspielerin angedroht hatte.
War der Sekretär der Diva wirklich auf so grauenvolle Weise getötet worden?
Nicole sah sich in der Garage nach einem Telefon um, um Hilfe herbeizuholen, aber sie fand keines.
In einer Ecke entdeckte sie ein paar Zeltstangen, wie man sie zum Camping brauchte. Nachdenklich wog sie die schmalen Metallstiele, die eine scharfe Spitze an einem Ende hatten, in den Händen, dann nahm sie zwei an sich. Ihre Handtasche versteckte sie in einer Säule aufgestapelter Wagenreifen.
Nicole Duval war sich klar darüber, in welch gefährliches Abenteuer sie sich da eingelassen hatte. Wehrlos war June Atkins jetzt in den Händen dieser grausamen Schauspielerin, die nur noch ihre Eigenliebe und Eitelkeit kannte und bereit war, dafür jedes andere Menschenleben zu opfern. Nicole wagte sich nicht vorzustellen, wieviele Todesopfer es vorhin in der unterirdischen Halle gegeben hatte.
Nachdenklich wog sie die beiden Metallstäbe in den Händen. Sie hatte eingesehen, daß es höchst töricht gewesen war, im Kofferraum mitzufahren. Sie hätte die Diva daran hindern müssen, mit dem Starlet in den Wagen zu steigen. Zu zweit hätten sie Harriet Gilbert sicher überwältigen können.
Statt dessen hatte die Diva jetzt Oberwasser. Denn jeden Moment konnten die Hexen kommen.
Hoffentlich ist es Zamorra gelungen, sie alle auszuschalten, überlegte sie.
Dieser Gedanke gab ihr neue Hoffnung. Wenn ihm das gelungen war, würde Harriet vergebens auf ihr Erscheinen warten.
Außerdem hatte sie wertvolle Informationen auf der Fahrt hierher von der Diva bekommen — sie war ja June Atkins gegenüber sehr gesprächig gewesen. Es würde für die Arbeit und Forschung des Professors sehr wichtig sein, ihm möglichst jedes Wort der Diva wiederzuerzählen. Selten bekam man eine so detaillierte Schilderung von Eingeweihten. Meistens konnten die Beteiligten hinterher keine Auskünfte mehr geben.
Vorsichtig öffnete sie eine Tür, die in einen kleinen Garten mit vertrockneten Gräsern führte. Ein warmer Luftzug streifte ihr Gesicht. Sie sah sich um. War da nicht ein Wispern gewesen, ein leises Raunen?
Sie fuhr herum, als ob
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