01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend
waren Wörter wie »abgedreht« oder »spitzenmäßig« angesagt, aber das berührte unser englisches Wesen nicht die Bohne. Plus fa change ...
Ich sollte vielleicht darauf hinweisen, daß der indische »Freund«, von dem Forster in seinen »Anmerkungen« spricht, natürlich sein Geliebter war; genausowenig spricht Forster offen aus, daß seine Eindrücke des englischen Charakters sich nicht nur auf die Mittelklasse und die Public Schools, sondern eben auch ausschließlich auf die männliche Welt beziehen.
In diesem Zusammenhang ist interessant zu erwähnen, daß meine Erstausgabe von Abinger Harvest einst dem Historiker R. W. Ketton-Cremer gehörte und zwischen den Seiten ein säuberlich ausgeschnittener Artikel aus der ›Sunday Times‹ vom 22. März 1936 steckte, bei dem es sich um eine Besprechung des Buches durch den bedeutenden Kritiker Desmond MacCarthy handelte – in jenen Tagen gab es tatsächlich noch bedeutende Kritiker.
MacCarthy weist darin mit Scharfsinn und Eleganz auf folgenden subtilen Punkt hin:
Sein [Forsters] eigentümlich ausgewogener Charakter ist gewöhnlich eher bei Frauen als bei Männern zu finden; und wennich sicher sein könnte, nicht von denen mißverstanden zu werden, die den Intellekt für eine maskuline Spezialität halten, würde ich hinzufügen, daß seine Anschauungsweise, sowohl als Kritiker wie auch als Künstler, eher feminin als maskulin ist ...
Absurdes und Tragisches, scheint er zu sagen, entstehen aus der Unfähigkeit, Erfahrungen miteinander in Bezug zu setzen – sie zu verbinden . Das ist Mr. Forsters zentrale »Botschaft«. Nun zeichnet sich aber gerade die maskuline Art, das Leben zu meistern, dadurch aus, daß man es in einzelne Bereiche zergliedert.
Ein Mann sagt sich: Da ist mein Heim und mein Privatleben; da ist mein Beruf und meine Arbeit; da bin ich Staatsbürger. Für jede dieser Abteilungen hat er bestimmte Prinzipien, nach denen er sich der jeweiligen Situation entsprechend verhält. Nur sind diese Prinzipien in jeder Abteilung andere. Seine Lebenskunst besteht darin, die Dinge auseinanderzuhalten und so Probleme zu vereinfachen ... Frauen hingegen, ob nun aufgrund ihrer Erziehung oder ihrer besonderen Wesensart, neigen eher dazu, das Leben als ein Kontinuum zu sehen. Unter diesem Blickwinkel ist meine Äußerung zu verstehen, Mr. Forster zeichne sich sowohl als Schriftsteller wie als Kritiker durch eine feminine Anschauungsweise aus.
Zu fühlen, und später zu wissen, daß Forster in gewisser Weise wie ich war – eben nicht wie andere Jungen -, ermöglichte es mir, mich ihm als Schriftsteller in sehr viel engerer Weise verbunden zu fühlen, als es ansonsten der Fall gewesen wäre. Seine »Anmerkungen zum englischen Charakter« und später dann Howard’s End wurden in Uppingham geradezu heilige Texte für mich, genau wie Cyril Connollys Meisterwerk Enemies of Promise mit der darin enthaltenen Theorie der permanenten Adoleszenz :
Dieser Theorie nach sind die Erfahrungen, die Jungen an den bekannten Public Schools erleben, ihre Triumphe und Enttäuschungen, so prägend, daß sie ihr ganzes Leben beherrschen undihre weitere Entwicklung blockieren. Die Folge ist, daß der größte Teil der herrschenden Klasse in einem Entwicklungsstadium verharrt, das als adoleszent, schülerhaft, unsicher, feige, sentimental und letzten Endes homosexuell zu beschreiben ist.
Ich wußte nicht so recht, was ich von dieser Erklärung halten sollte. Einerseits war ich davon überzeugt, als Homosexueller geboren zu sein, andererseits aber gefiel mir der Gedanke, daß es allein der Schule zuzuschreiben war und ich das Opfer eines schändlichen und korrupten Systems geworden war. Heute weiß ich, daß Connolly homosexuell sowohl in gesellschaftlicher wie in geschlechtlicher Hinsicht meinte, deshalb der Ausdruck »letzten Endes« – aber damals gab es Tage, an denen ich meine Sexualität verfluchte und sie mit Freuden meiner Erziehung anlastete. Ihab Hassan trifft wie so oft den Nagel auf den Kopf, wenn er in The Anti-Hero schreibt:
Die widerstreitenden Gefühle eines bourgeoisen Helden in einer vom Mittelstand dominierten Gesellschaft konfrontieren ihn mit den Problemen von Entfremdung und Gemeinschaft, Aufrichtigkeit und Verstellung, Ehrgeiz und Bescheidenheit ... Die traurige Geschichte des Anti-Helden ist nichts anderes als die Geschichte des sich wandelnden Selbstbewußtseins des Menschen. Es ist die Geschichte seines fortschreitenden Zurückweichens ... Der Mensch
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