01 Das Haus in der Rothschildallee
Porzellantopf, der mit winzigen Goldputten verziert war, leuchtete die rosa Blüte eines Hibiskus. Die empfindliche Pflanze war vor zwei Jahren ins Haus gekommen, hatte jedoch noch nie geblüht. Jetzt hatte sie sich über Nacht von einer gewöhnlichen Grünpflanze in eine atemberaubende Schönheit verwandelt. Betsy empfand das als gutes Omen für einen langen Frühling.
Einen belebenden Augenblick dachte die pflichtbewusste Hausfrau nicht an Frühjahrsputz und neue Küchengardinen, nicht an die ersten Radieschen und dass es bald Pessach sein würde und sie beizeiten die Matze und den Hecht bestellen müsste. Frau Betsy träumte von einer Sommerreise – ohne die Kinder und ohne Verpflichtungen, nur mit ihrem Mann, vielleicht nach Karlsbad, wohin sie schon lange wollte, weil man sich Wunderdinge von der dortigen Küche und der Kur erzählte. Oder nach Bad Gastein, wohin jetzt etliche fuhren, die gut zu leben wussten. Betsy war zwar gesund an Leib und Seele und bedurfte keiner Kur, doch sie gab ihrer Phantasie gern Nahrung und konnte dies am besten tun, wenn sie auf den Spuren der Berühmten wandelte. Meran fiel ihr ein. Dort hatte selbst die rastlose österreichische Kaiserin Elisabeth Ruhe gefunden. Fontanes Effi Briest, mit der Frau Betsy immer noch zu leiden beliebte, wenn sie Geschmack beweisen wollte, war nach Ems gefahren.
»Ach«, seufzte sie, »Ems wird es wohl sein.« Sie schämte sich ihrer Unzufriedenheit. Johann Isidor hielt nicht viel von Sommerreisen und noch weniger von Frauen, die in berühmten Heilbädern Kur machten und ihre Ehemänner eine Stange Geld kosteten. Seine Frau hatte manchmal die Vermutung, die Jugendzeit auf dem Dorf und ein Vater, der nie weiter als bis nach Frankfurt gekommen war, hätten gewisse Spuren bei ihrem Mann hinterlassen. Sie stand auf und schaute in die Hinterhöfe der gegenüberliegenden Wohnungen. Wie immer um zwei Uhr mittags saß ein grauhaariger Schneider mit gekreuzten Beinen auf einem langen Tisch, ein Maßband um seinen Hals, ein rotbrauner Dackel zu seinen Füßen. Betsy winkte dem Nachbarn zu, doch der blickte nicht hoch, der Dackel schlief. Sie nahm sich vor, gleich am nächsten Tag sämtliche Oberhemden von Johann Isidor hinüberzutragen und ihnen neue Kragen machen zu lassen. Der gut betuchte Handelsmann Sternberg mochte sich von keinem Kleidungsstück trennen. »Ich hab nur ein Haus«, pflegte er zu sagen, wenn seine Frau ihm den Kauf eines neuen Überziehers oder eines modischen Sakkos vorschlug.
Die Berufung auf ein Haus als Besitz entsprach nicht mehr der Realität. Johann Isidor Sternberg, Handelsherr, Partner in einem Verlag mit Renommee und in höchst einträgliche Bankgeschäfte involviert, hatte vor einem halben Jahr ein Doppelhaus in der Glauburgstraße erworben und das Gebäude von Grund auf renovieren lassen. Die stadtbekannte Posamenterie Sternberg in der Hasengasse gab es immer noch.
»Von seinen Anfängen trennt man sich nicht«, sagte Johann Isidor, wenn es die Gelegenheit erforderte, »sonst verliert man den Boden.«
Madame Betsy ließ sich ebenso wenig wie ihr Gatte vom Wohlstand zu Extravaganzen hinreißen. Ihr wäre es nie eingefallen, ihrer Freundin Henriette nachzueifern. Deren Mann hatte ein Vermögen mit dem Import französischer Weine und mit Sherry aus Spanien gemacht. Sie trug sogar zu Hause Blusen aus Honanseide und dekolletierte Roben aus Paris und ließ auch an Werktagen den Kuchen auf einer Tortenplatte von Hutschenreuther servieren.
Wenn Betsy mit den Kindern allein war, wurde die Nachmittagsschokolade in der Küche eingenommen. Josepha servierte dazu flämische Waffeln mit rheinischem Apfelkraut und neue Geschichten von der Zarenfamilie, die immer noch nach Bad Nauheim kam. Die fünfzehnjährige Olga und die dreizehnjährige Tatjana machten bereits Trinkkuren, die Zarin hatte Doktor Georg Grote zu ihrem Badearzt erkoren; bei dem arbeitete eine gewisse Hedwig, die wiederum eine Cousine zweiten Grades von Josepha war. Also kamen alle Nachrichten vom Zarenhaus aus fast erster Hand.
Betsy hatte sich an diesem entspannenden Frühlingstag noch nicht einmal für den Nachmittag umgezogen. Sie trug ein blau-weiß gewürfeltes Kleid, das sie, was sie niemandem eingestanden hätte, an ihre Jungmädchenzeit im Pensionat in Montreux erinnerte. Es hatte einen kleinen Spitzenkragen, einen breiten Stoffgürtel und einen bauschigen Rock, der es ihr gestattete, wenn sie in halb sitzender Stellung auf der Récamière ruhte, ihre Beine
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