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01 Das Haus in der Rothschildallee

01 Das Haus in der Rothschildallee

Titel: 01 Das Haus in der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Schlampe eine Mesalliance eingegangen. Genau wie der Sohn von Kaiser Franz Joseph, der sich dann umgebracht hat. Diese Österreicher haben ja kein Gefühl für Stil, wenn du mich fragst.«
    »Aber ich versteh die ganze Aufregung nicht. Was geht uns das denn alles an?«
    Weil Johann Isidor sicher war, dass der Schrecken auch sein Gesicht gezeichnet hatte, sah er weder seine Frau, noch die Kinder und auch Großtante Jettchen nicht an. »Wir sollten doch sehen«, sagte er im Aufstehen, »dass wir spätestens morgen von hier wegkommen. Es muss nicht, aber es kann Krieg geben, und ein Kriegsausbruch ist nicht die passende Gelegenheit für einen Mann, der sich um sein Vaterland sorgt, um in Baden-Baden in einer Badewanne zu liegen.«
    Otto grub die Kuchengabel in die Schokoladencreme der Charlotte russe; er schob eine gewaltige Portion in seinen Mund. Weil er zu hastig aufstand, stieß er seinen Stuhl gegen einen jungen Kellner, der an ihm vorbeihastete. Nach nur drei Schritten hatte Otto seinen Vater eingeholt. »Krieg«, sagte er und leckte den Rest der Schokolade von seinen Lippen, »was hab ich doch für ein Riesenglück, dass ich genau im richtigen Alter bin. Es muss furchtbar sein, wenn es einen Krieg gibt und man ist entweder zu alt oder zu jung, um dabei zu sein.«
    »Es ist furchtbar«, bestätigte Johann Isidor.

4
DEUTSCHE BALKONS
    Frankfurt, Sommer 1914
    Josepha stand auf dem Balkon. Ihre gestärkte dunkelblaue Kittelschürze mit der schmucken weißen Paspelierung, die sie sonst nur sonntags trug, zeigte an, dass sie nicht im Dienst, aber trotzdem bereit war, getreulich ihren Pflichten nachzugehen. Obwohl der Balkon um die Mittagszeit im Schatten lag, war die Luft angenehm warm. Josepha atmete tief ein – wie es ihr der Posaunist Waldemar Mitalsky vom Kurorchester zu Bad Nauheim beigebracht hatte. In der Maienzeit, als die Kirschbäume und Fliederbüsche auch für sie geblüht hatten, war der Mitalsky jeden Samstagabend mit ihr tanzen gegangen, doch wegen der Aussteuer und weil Trudchen die einzige Tochter des Bauern Breitfuß und somit Hoferbin war, hatte er die mit den krummen Füßen geheiratet. »Richtig zum Anfassen«, murmelte Josepha. Sie meinte nicht ihre Erinnerungen, sondern das Sommerwetter im Allgemeinen und den Junikäfer, der auf einem Blatt Kapuzinerkresse saß und Glück versprach.
    Ihr Lieblingssatz »Der Fleiß verjagt, was Faule plagt« war an diesem schönen blauen Montag eine Redensart ohne Bedeutung. Josepha, die sich gewöhnlich nur Ruhe gönnte, wenn ihr Kreuz zu brechen drohte, empfand es als eine Freude, die sie bis ins Innerste erwärmte, dass sie den Regulator im Salon eins schlagen hörte und sie sich so benehmen durfte wie die feinen Damen, für deren Wohl ausschließlich fremde Hände sorgten. Seit genau elf Tagen brauchte sich die von jedermann geschätzte Köchin im Hause Sternberg keine Gedanken zu machen, was in ihren Töpfen schmoren und in ihren Pfannen braten würde, ob sie die Kohlrabi mit oder ohne Grünzeug servieren sollte und ob sich am Sonntag zum feinen Bürgermeisterstück vom teuersten Metzger auf der Berger Straße eine Dillsauce besser ausnahm oder die mit Meerrettich, für die Erwin und Clara schwärmten. Es waren keine Kartoffelgratins vorzubereiten, weder Gemüseaufläufe noch Ragouts in den Ofen zu stellen. Für das Einwecken der Frühkirschen und die Zubereitung der Erdbeermarmelade hatte die fürsorgliche Hüterin von Küche und Keller noch mehr als drei Wochen Zeit, ebenso für das zugesagte Aussortieren der Töpfe und Kochlöffel, die der Hausfrau nicht mehr gefielen.
    Josepha genoss ihren Urlaub von der täglichen Pflicht. Sie hatte ihre Hände eine halbe Stunde lang in Seifenlauge gebadet, die Fußnägel geschnitten, die Ellbogen mit Sandpapier abgeschmirgelt, ihr Haar gewaschen, mit Bier gespült und zu einem dicken Zopf geflochten. Der lag um ihren Kopf und wirkte wie eine Krone aus hellbraunem Samt. Abermals dachte Josepha, was sie merkwürdig fand, weil es so lange nicht geschehen war, an das Trudchen mit den krummen Füßen. Die hatte inzwischen sechs Kinder und einen Leib, der sie stets aussehen ließ, als wäre sie mit dem siebten schwanger. Im Ort erzählte man sich, ihr Mann hätte die Posaune verkauft und die Magd vom Nachbarn geschwängert. Zudem käme er nie aus den Federn, wenn die Tiere versorgt werden müssten oder ein Kind krank sei.
    Die Frau, die der schöne Waldemar für zehn Schweine und zwei Kühe verraten hatte, stemmte ihre Arme

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