01 Das Haus in der Rothschildallee
Blusen und Röcke von ihr gebügelt. Es war noch nicht einmal so bestellt, dass sich Josepha besser dünkte als jene, die ihr gleich gewesen waren, doch hatte sie sich dem häuslichen Nest, aus dem sie einst in die feine Welt aufgebrochen war, Jahr um Jahr ein weiteres Stück entfremdet. Fräulein Krause, ledig geblieben, weil sie nach der Enttäuschung mit dem treulosen Posaunisten kein Verlangen mehr gehabt hatte, ein eigenes Leben aufzubauen, war ausschließlich an der Grenze zwischen dem Frankfurter Nordend und dem Stadtteil Bornheim zu Hause – im ersten Stock der Rothschildallee 9. Wenn sie morgens aus ihrem Mansardenfenster schaute und die Bäume und grün leuchtenden Grasflächen sah, die die breite Avenue teilten, schnupperte ihre Nase Heimat. Ihre Seele ebenfalls.
Bis auf Otto, der Josepha, was sie nur unter der Folter eingestanden hätte, so rätselhaft und fremd geblieben war wie an ihrem ersten Arbeitstag bei den Sternbergs, hatte sie alle Kinder von Geburt an betreut. Sie hatte sie mit Liebe und Zuckerwerk getröstet und im Ernstfall vor der strafenden Hand ihrer Eltern geschützt. Die Zwillinge und Victoria waren von ihr verwöhnt worden, als wären sie Königskinder und sie ihre untertänige Zofe.
Geschah es doch einmal, dass dieses Juwel sich zu einem Besuch nach Bad Nauheim aufmachte, fühlte sie sich als Reisende in einem fremden Land. Josepha konnte mit ihrer Familie reden, aber die Antworten verstand sie nicht. Vor allem störte es sie, dass sie um des Friedens willen vorgab, nicht zu wissen, dass ihre Schwestern, die Brüder und Cousinen, die Mutter und deren sämtliche Bekannte schon seit Jahren einander zuraunten: »Die Josepha schafft beim Juden und ist selbst nicht mehr ganz koscher.«
Der Sommer steigerte Josephas Reiseunlust. Wenn die gute Gesellschaft in die Heil- und Seebäder aufbrach, zur Sommerfrische aufs Land und in die Berge, veränderte die Stadt ihr Gesicht. Frankfurt wurde still, die Farben weich, die Nächte sanft. Die Sommerstadt brachte gute Träume. Dann beliebte Josepha Krause, die Köchin mit den guten Zeugnissen und den guten Erfahrungen, das Leben wie eine Weihnachtsgans zu tranchieren und die besten Stücke für sich zu reservieren. Sie empfand es als einen Genuss ganz eigener Art, allein zu sein. Es machte sie stark, sich als Alleinherrscherin der Wohnung zu fühlen. Jedes Stück gehörte ihr – die mokkafarbenen Backensessel mit losem Daunensitz, das elegante Sideboard mit der goldenen Tischuhr im Esszimmer, Frau Betsys Frisierkommode mit dem venezianischen Spiegel, der Couchtisch mit den Löwenfüßen, alles gehorchte ihr aufs Wort und tanzte allein nach ihrer Pfeife.
Die Waschfrau wurde in der Ferienzeit von Josepha mit allen Aufgaben betraut, zu denen sonst die Zeit nicht reichte. Der Kohlenmann wurde bestellt, dem Gärtner Auftrag gegeben, die Hecke im Vorgarten zu schneiden, die Federbetten zum Aufarbeiten gebracht. Mit fester Hand wurde das Mädchen fürs Grobe dirigiert. Hanna mit einem schwer auszusprechenden Nachnamen, den zu merken sich niemand in der Familie Sternberg die Mühe machte, war seit zwei Jahren im Haus. Sie stammte aus Beerfelden im Odenwald, hatte ständig Heimweh und Sehnsucht nach ihren Eltern, den fünf jüngeren Geschwistern und dem Sohn vom Müller Merkental, dem sie versprochen war. Für den wollte sie in Frankfurt lernen, was eine Frau fürs Leben zu wissen hatte, doch fürchtete sie sich bei jedem Schritt nach draußen, entweder von einem Auto überfahren oder von dem kräftigen jungen Mann verschleppt zu werden, der wöchentlich die Eisblöcke ins Haus brachte. Der Grobian unterließ es nie, dem verschüchterten Mädchen so auf den Hintern zu schlagen, wie er es von seinen beiden Gäulen gewohnt war. Glücklich war Hanna nur, wenn sie von Frankfurt nach Beerfelden fuhr.
Hauptsächlich um Hanna zu demonstrieren, wie unabhängig und frei sie selbst war und welche Wertschätzung sie bei den Sternbergs genoss, hatte die Regentin auf Zeit ihrer rechtlosen Dienerin drei volle Tage freigegeben, um nach Beerfelden zur Hochzeit ihrer Cousine zu fahren. Das vom Glück überwältigte Geschöpf hatte stammelnd versprochen, mit dem Rezept ihrer Mutter für Apfelweinsuppe und einem Eimerchen Walderdbeeren rechtzeitig zurückzukehren, und war von ihrer Gönnerin mit dem Satz verabschiedet worden: »Hau schon ab, ehe ich’s mir anders überlege, denn gedankt kriegt man ja sein gutes Herz sowieso nie.«
Als die zwei Autodroschken, die der
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