01 Das Haus in der Rothschildallee
allerorten als neidisch verrufenen Schwägerin Paula gelungen, einen Satz Bowlengläser gegen einen Sack Kartoffeln und eine Herrenjacke aus echtem schottischen Tweed gegen Mehl, Zucker und drei Dosen selbst eingemachter Leberwurst einzutauschen. Mamsell Krause, der Betsy prinzipiell die Auswahl des Tauschguts überließ, war mehr als zufrieden gewesen – mit dem Geschäft an sich und mit ihrem Verhandlungsgeschick.
Eine väterliche Cousine hatte zu Claras dreizehntem Geburtstag die Bowlengläser mit der Bemerkung »Für deine Aussteuer, mein Kind« angeschleppt. Sämtliche Sternbergs hatten sich Mühe geben müssen, die Contenance zu wahren. Das Geburtstagskind, damals schon und immer noch allergisch gegen alle Beiträge für die Aussteuer, hatte gar im Badezimmer geweint. Die Gläser – aus hässlichem dickem grünen Glas und mit gedrechselten Henkeln, an die man nur schwer mit dem Küchenhandtuch herankam – würden nie benutzt werden. Im Hause Sternberg wurden, wie Josepha zu betonen pflegte, ausschließlich »reine Getränke in allerbester Qualität« ausgeschenkt.
Während Josepha nun in Bad Nauheim Kaffee trank, dem ihrer Meinung nach zu viel Zichorie zugesetzt war, und ein Quarkhörnchen aß, wie sie es schon als Fünfzehnjährige hätte besser backen können, wies die Schwägerin ausdauernd auf die herrschende Kartoffelfäule hin. Ein paarmal betonte sie, sie könnte es um der Familie willen gar nicht verantworten, sich überhaupt noch von Kartoffeln zu trennen. Ein Kennerauge wie das von Josepha vermochte jedoch auf Anhieb festzustellen, dass die unbedarfte Kleinbürgersfrau, die ihr gegenübersaß und schon an der dritten Tasse von dem Zichoriengebräu suckelte, ganz vernarrt in die scheußlichen grünen Gläser war.
»Wenn ich bei dir keine Kartoffeln kriegen kann, muss ich es halt bei den Rindermanns versuchen«, pokerte die schlaue Josepha. »Dann«, machte sie klar, wobei sie energisch mit ihrer Rechten auf das linke Bein schlug, »muss ich allerdings auch die schönen Gläser und die gute Jacke wieder mitnehmen. Was soll ich denn sonst machen?« Die schlaue Füchsin verschwieg selbstverständlich, dass Herr Sternberg, der ja wusste, was sich gehörte, die Jacke nicht mehr trug, weil sich eben kein guter Deutscher im dritten Kriegsjahr noch in der Wolle von feindlichen schottischen Schafen zeigen mochte.
»Meinetwegen«, seufzte die künftige Besitzerin der grünen Bowlengläser, »dann zieh in Gottes Namen ab mit den Kartoffeln. Du redest ja einen Menschen total besoffen. Wie immer. Kein Wunder, dass dein Posaunist damals das Weite gesucht hat.«
Es hatte Schwägerin Paula nie gereicht, das letzte Wort zu behalten. Sie bürstete kopfschüttelnd die Krümel vom Tisch, rümpfte die Nase, als wittere sie alles Unheil der Welt, und setzte dann vollkommen übergangslos zu einer Tirade gegen die Juden an, wobei sie geiferte, es wären jüdische Händler, die die Preise hochtrieben, und das täten sie ausschließlich zulasten der fleißigen Landbevölkerung. Der Hassgesang endete so abrupt, wie er begonnen hatte – mit der Behauptung, die Juden seien alle feige und würden sich samt und sonders vor dem Militär drücken. »Oder sie gehen hin, und es gelingt ihnen, dass man sie nicht an die Front schickt«, wütete Paula. Sie war als junges Mädchen schon dafür berüchtigt gewesen, sich mit ihren eigenen Worten in Rage zu reden, und sie hatte seitdem nichts verlernt.
Josepha war nur für einen Moment perplex, gedemütigt, sprachlos und handlungsunfähig gewesen. Dann brodelte es in ihr wie in einem überhitzten Suppentopf. So langsam, wie es ihr möglich war, ging sie in den Flur mit den markanten Kleiderhaken aus Wildgeweih. Dort stülpte Sternbergs Köchin ihren Hut auf den Kopf, nahm die spitze Hutnadel heraus und kam zurück in die gute Stube. Sie war nun ganz ruhig. Nur ihre Augen funkten Feuer. Bedächtig, ohne ein Wort zu sagen, nahm sie den kleinen Sack Mehl hoch, der an der Tür stand, stellte ihn auf den Tisch neben die Kaffeekanne und schlitzte ihn mit der Hutnadel auf. Mit der sicheren Hand, die Frau Betsy immer bewunderte, weil sie ein randvolles Glas hochzuheben vermochte, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten, schüttelte Josepha ihrer Schwägerin Paula das feine weiße Mehl auf das schwarze Witwenkleid, das sie schon seit sieben Jahren trug.
»Und für so eine Schlampe, wie du es bist, hat unser Otto sein Leben hergegeben«, brüllte die Rächerin. Sie stampfte aus dem
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