01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
die Hand. »Was kann ich für Sie tun?«
Kincaid sagte sich, daß dieser Mann für Wortreichtum wenig übrig hatte. »Es geht um einen Ihrer ehemaligen Schüler, Roger Leveson-Gower - erinnern Sie sich an ihn? Ich denke, Sie werden etwa zehn Jahre zurückgehen müssen.«
Martin Farrow forderte sie nicht auf, sich zu setzen. Kincaid vermutete, daß dieses Versäumnis nicht auf Unhöflichkeit zurückzuführen war, sondern auf die Tatsache, daß Farrow sich schlicht nicht vorstellen konnte, daß es Leute gab, die nicht lieber standen als saßen.
Farrow wippte leicht auf den Fußballen auf und nieder, während er nachdachte. »O ja, ich erinnere mich sehr gut an ihn. Ich war damals stellvertretender Direktor, und die meisten Regelverstöße und Disziplinarsachen landeten bei mir. Was hat Roger denn mit seinem Leben angefangen? Hat er eine Karriere als Fälscher gemacht? Oder als Versicherungsbetrüger? Oder hat er sich darauf spezialisiert, vertrauensseligen alten Damen ihre Ersparnisse abzuschwatzen?«
»Nichts so Spektakuläres. Aber ich sehe schon, daß Roger bereits sehr früh kriminelles Potential zeigte. Warum haben Sie ihn nicht hinausgeworfen?«
»Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir’s getan.« Farrow begann im Zimmer auf und ab zu gehen, während er sprach, zupfte hier an einem Sofakissen, rückte dort einen Stuhl zurecht, und Kincaid und Gemma mußten sich wie Kreisel drehen, um ihn nicht aus dem Blickfeld zu verlieren.
»Wir führen hier eine gute Schule, modern und fortschrittlich. Wir halten nichts von mittelalterlichen Methoden nach dem Grundsatz >gelobt sei, was hart macht<. Schüler wie Roger Leveson-Gower können dem Ruf einer Schule nur schaden.«
An ihren üblichen Dialog bei einer Vernehmung gewöhnt, sah Kincaid Gemma erwartungsvoll an. Doch die sah mit ausdrucksloser Miene an Farrow vorbei zum Fenster hinaus.
»Äh«, sagte er, ehe die Pause allzu lang werden konnte, »was hat er denn für einen Trumpf im Ärmel gehabt?«
Farrow blieb stehen, die Hände auf die Rückenlehne eines Lehnstuhls gestützt, und Kincaid konnte ihn sich plötzlich hinter dem Pult vorstellen. »Sein Vater hat unseren Baufonds mit großzügigen Spenden unterstützt.« Er zuckte die Achseln.« Das Übliche eben. Und mag der Junge noch so ein Früchtchen gewesen sein, er war zu schlau, um sich bei einer wirklich ernsten Sache erwischen zu lassen. Aber ich muß sagen, ich war froh, als er ging.«
»Der Vater scheint entweder sein Vermögen oder seine Großzügigkeit verloren zu haben; dieser Tage lebt Roger nämlich auf Kosten einer jungen Frau, die wahrscheinlich nicht viel mehr als das Existenzminimum verdient.«
Farrow lächelte. »Das sieht ihm ähnlich. Immer hat er die Kleinen tyrannisiert - sie hatten Todesangst vor ihm, und immer hat er’s geschafft, daß sie für seine Dummheiten bestraft wurden.«
»Hat er Ihres Wissens je eine Neigung zu Gewalt gezeigt?«
»Nein.« Farrow schüttelte den Kopf. »Dazu ist er viel zu berechnend, hat viel zuviel Angst um sein eigenes kleines Leben.« Er überlegte einen Moment. »Wenn Roger Leveson-Gower je zu Gewaltmethoden greifen sollte, dann würde er es meiner Meinung nach nur in aller Heimlichkeit tun.«
»Zufrieden?« fragte Kincaid, nachdem Farrow sie mit einem freundlichen Winken verabschiedet hatte.
»Er war ein intelligenter Bursche«, hatte Farrows letzter Kommentar gelautet. »Ich hasse es, wenn ich mitansehen muß, wie gute Gaben sinnlos vergeudet werden.«
»Haben Sie erwartet, daß er Klassenbester war?« fragte Gemma, während sie den Gang einlegte und den Rover auf die Straße hinauslenkte.
»Wäre ein Mord an Jasmine risikolos genug gewesen, um ihn zu locken? Was meinen Sie? Hätte er sich sicher gefühlt?«
Gemma zuckte die Achseln, ohne den Blick von der Fahrbahn zu wenden. »Auf jeden Fall hätte er nicht mit Ihnen gerechnet. Sie sind der Sand im Getriebe. Ohne Sie hätte niemand an Jasmines Tod etwas Besonderes gefunden.«
Er wartete darauf, daß sie die Gelegenheit ergreifen würde, um Roger zum Täter zu machen, aber sie hüllte sich in Schweigen.
Als sie wieder in Richmond waren, sagte er: »Gemma, was ist eigentlich los? Bei dem Gespräch mit Farrow waren Sie schon so wortkarg, als hätte es Ihnen die Sprache verschlagen, und jetzt reden Sie mit mir auch nicht. Wenn ich’s mir genauer überlege, waren Sie den ganzen Tag schon etwas seltsam.«
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