01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
manchmal zum Mittagessen in seinen Club eingeladen, wenn mein Vater in London zu tun hatte. Ich habe die Namen nicht miteinander in Verbindung gebracht. Ich hätte mir nicht träumen lassen...«
»Daß er dein Großvater war? Nein, er hat dafür gesorgt, daß du niemals auf diesen Gedanken kommst.« Dieser letzte Verrat ihres Vaters kränkte sie tief. Sie schloß die Augen. Sie sah das Bild deutlich vor sich. Ihr Vater jovial bei Zigarren und Brandy, wie er zu dem gesichtslosen Major Rennie sagte: »Verraten Sie dem Jungen nicht, daß ich seine Adoption arrangiert habe. Das würde ihn vielleicht befangen machen.« Als sie die Augen öffnete, sah sie, daß Patrick sie konsterniert anstarrte.
»Warum erzählen Sie mir das alles jetzt, Hannah? Sie hätten sich längst mit Ihrem Vater auseinandersetzen können. Sie waren eine Erwachsene mit den Rechten einer Erwachsenen. Und warum so?« Seine Verwirrung war in seiner Stimme zu hören. »Wie haben Sie mich gefunden? Ich meine, hier, im Followdale House?«
»Ich habe einen Privatdetektiv engagiert.« Sie zuckte unter seinem angewiderten Blick zusammen.
»Guter Gott, ich kann es nicht glauben. Sie haben mich überwachen lassen? Sie haben mich bespitzelt...«
»Ich habe nur die Adresse deiner Eltern. Ich konnte doch nicht einfach zu ihnen gehen und sagen, ich wollte dich sehen. Und ich wollte dich erst einmal auf neutralem Boden kennenlernen, ganz ohne Vorurteile, so objektiv wie möglich. Ich war nicht einmal sicher, ob ich überhaupt mit dir sprechen würde.«
»Wie angenehm risikolos für Sie. Sie haben sich wieder einmal alle Möglichkeiten offengelassen. Was hätten Sie denn getan, wenn ich häßlich und unangenehm gewesen wäre? Oder dumm? Wären Sie dann einfach gegangen und hätten so getan, als wäre nichts gewesen - genau wie Sie das vor fast dreißig Jahren getan haben?« Patricks Gesicht war nackt, bar allen routinierten Charmes, und zum erstenmal entdeckte Hannah in ihm einen Widerschein ihrer eigenen Züge. »Warum haben Sie sich dann doch entschlossen, mit mir zu sprechen, Hannah?«
»Ich mußte es einfach tun. Ich könnte nicht weiterleben, ohne mit dir gesprochen zu haben.«
»Ging es Ihnen um Ihren Seelenfrieden oder um meinen?«
Darauf hatte Hannah keine Antwort. Unglücklich stand sie vor ihm und wartete darauf, was als nächstes kommen würde.
»Was haben Sie erwartet? Haben Sie geglaubt, Sie könntennach all diesen Jahren einfach in mein Leben treten und würden mit offenen Armen aufgenommen werden?«
»Patrick, bitte...«
»Daraus wird nichts, Hannah. Wir haben keine gemeinsame Basis, auf der wir aufbauen können. Meine Eltern waren mir echte Eltern. Und was haben Sie mir gegeben? Mein Leben, gewiß. Soll ich vielleicht dankbar sein, daß Sie mich nicht abgetrieben haben? Das wäre wahrscheinlich möglich gewesen, selbst damals.«
Sie fühlte sich völlig ausgehöhlt, sie hatte keine Kraft mehr zu sprechen. Wie konnte sie diesem plötzlich so harten, barschen Mann beschreiben, wie sehr sie ihn in jenen Monaten, als sie mit ihm schwanger gewesen war, geliebt hatte? Wie sie getrauert hatte, als man ihn ihr genommen hatte? Und wie konnte sie ihm erklären, was ihr später geschehen war? Es schien lächerlich, absurd, auch nur daran zu denken. Mit Anstrengung holte sie Atem. »Patrick, ich...« Die Tränen, die sie bis jetzt zurückgedrängt hatte, drohten sie zu ersticken. »Du verstehst es nicht. Ich kann es dir nicht begreiflich machen.«
»Nein.«
Das Schweigen zog sich in die Länge, bis Hannah meinte, sie müsse sprechen, sie müsse ein Steinchen finden, das sie in diesen Abgrund werfen konnte, der sich zwischen ihnen aufgetan hatte. »Ich wollte...«
»Sie wollten«, sagte Patrick, freundlicher jetzt, »das Unmögliche. Was für eine Enttäuschung für Sie«, fügte er ironisch hinzu, »den lang verlorenen Sohn zu finden und ihn des Mordes für fähig zu halten.«
»Nein, Patrick, das stimmt nicht. Das habe ich nie gedacht.« Hannahs Stimme schwoll erregt an. »Ich hatte Angst um dich, ich hatte Angst, du könntest in Schwierigkeiten stecken. Ich wollte nicht, daß du...«
»Sie wollten sich das Bild des perfekten Sohnes nicht verderben lassen, wie? Den Sie wie den Märchenprinz in einen tiefen Schlaf versetzt haben, um ihn eines Tages mit dem Mutterkuß zu wecken?«
Sie weinte jetzt offen. »Nein, Patrick, bitte, das ist unfair.«
»Ja, das ist es
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