01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
>Mistress< nennen, oder meinetwegen auch >Madam<, obwohl ich das auch ziemlich scheußlich finde?«
Gemma, die bei anerkennenden Pfiffen auf der Straße nicht einmal mit der Wimper zuckte, spürte, wie sie bei diesem Kompliment rot wurde. Sie mußte zugeben, daß es auch reichlich chauvinistisch war, aber sie brachte es nicht fertig, daran Anstoß zu nehmen. »Na gut, dann nennen Sie mich >Mistress<, wenn Sie möchten.«
»Einverstanden, Mrs. James. Wenn Sie von mir ein Leumundszeugnis über Hannah haben möchten, kann ich nur sagen, daß ich über sie und ihre Vergangenheit nichts weiß, was auch nur im geringsten fragwürdig wäre. Für mich ist sie eine Freundin, die mir nähersteht als jeder Verwandte, und ich würde für sie jederzeit die Hand ins Feuer legen. Ganz gewiß ist sie nicht fähig, einen Menschen zu töten.« Seine Hände zuckten, während er sprach.
»Mr. Sterrett, ich glaube nicht, daß die Untersuchungsbeamten diese Möglichkeit ernsthaft in Betracht ziehen, aber wir müssen diese Nachforschungen nun einmal anstellen. Das werden Sie sicher verstehen.« Gemma wechselte das Thema, um ihm Gelegenheit zu geben, sich zu beruhigen. »Trägt die Klinik den Namen eines Ihrer Familienangehörigen, Mr. Sterrett?«
»Den meiner Frau. Sie ist vor nahezu dreißig Jahren an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gestorben. Damals war die Krankheit kaum erforscht, und da ich mein Geld erbte, wollte ich es in eine gute Sache investieren.« Er lächelte sie wieder an. »Machen Sie kein so unglückliches Gesicht, Mrs. James. Ich trauere nicht mehr um meine verstorbene Frau. Das ist alles sehr lange her. Wir hatten keine Kinder - und das war vielleicht gut so, wenn man die Geschichte ihrer Familie bedenkt. Ihre einzige Schwester war emotional ausgesprochen labil, und mein Neffe ist ein armseliger Wicht.«
Miles starrte einen Moment lang ins Feuer, dann trank er seinen Kaffee aus und sagte mit einiger Überwindung, wie es Gemma schien: »Es überrascht mich, daß Hannah mich nicht angerufen hat. Ich vermute, sie fürchtete, die Geschichte würde mich beunruhigen. Auf die Idee, daß die Polizei mich aufsuchen könnte, wenn auch in noch so attraktiver Form, ist sie wahrscheinlich gar nicht gekommen.« Sowohl das Lächeln als auch die Schmeichelei, wirkten diesmal gezwungen. Gemma hatte den Eindruck, , lange genug hiergewesen zu sein.
Sie trank ihren Kaffee aus und stand auf. »Ich habe Sie ermüdet. Das tut mir leid. Ihre Sekretärin würde mich mit Haut und Haaren auffressen, wenn sie das wüßte.«
Sterrett lachte. »Das ist ihre Art der Konkurrenz mit Mrs. Milton. Das geht schon seit Jahren so.« Er stand auf, ließ es sich nicht nehmen, sie hinauszubringen. Auf der Treppe gab er ihr nochmals die Hand. »Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich nicht mit hinunterkomme? Mrs. Milton sperrt Ihnen die Tür auf.«
»Danke, Sir. Es tut mir leid, wenn ich Sie beunruhigt haben sollte.« Es war ein Standardsatz, aber Gemma war es ernst damit.
Sie hatte ein Zimmer in einem kleinen Hotel am Stadtrand reserviert, und nachdem sie ausgepackt und sich eingerichtet hatte, verbrachte sie den Rest des Abends damit, bei Kincaid anzurufen, der sich nicht meldete.
Hannah schlief auf dem Sofa, den Kopf halb unter dem Kissen vergraben, während die Decke zu Boden zu gleiten drohte.
In ihrem Traum ging sie durch die Vorortstraßen ihrer Kindheit. Über ihr blühten die Kirschbäume. Vertraute Stimmen, denen sie keine Namen geben konnte, schallten aus den Gärten, und sie ging schneller. Ihr Haus schien stets um die nächste Ecke zu sein - sie war sicher, sie würde es finden, wenn nur das leise, beharrliche Klopfen aufhören würde.
Das Geräusch nagte an den Rändern ihres Traums und zog sie schließlich in einen Zustand schlaftrunkenen Erwachens hinüber. Stöhnend versuchte sie sich aufzurichten - ihre Muskeln waren steif, und sie hatte heftige Kopfschmerzen. In den Scheiben der Balkontür spiegelte sich ihr Bild. Draußen war es jetzt ganz dunkel, und sie konnte nicht sagen, ob sie Stunden oder Minuten geschlafen hatte. Das Klopfen ging weiter, als sie steifgliedrig zur Tür schlurfte, und sie hörte seine flehende Stimme, noch ehe sie die Tür erreicht hatte. »Hannah, ich bin’s, Patrick. Bitte! Ich muß mit Ihnen sprechen.«
Einen Moment zögerte sie, und gleich darauf überkam sie heiße Scham. Sie würde nicht an ihm zweifeln, sie würde nicht ihr Leben von Furcht regieren
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