01_Der Fall Jane Eyre
ehrenhaft entlassen worden, mit
einem Orden als Beweis. Sie hatten von mir erwartet, bei
Rekrutierungsveranstaltungen Vorträge über Tapferkeit und Effizienz
zu halten, doch ich hatte sie enttäuscht. Ich ging zu einem
Bataillonstreffen, weiter nichts; ich hatte unwillkürlich nach
Gesichtern gesucht, die gar nicht da sein konnten.
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Auf dem Foto stand Landen links von mir und umarmte mich und
einen zweiten Soldaten, meinen Bruder, seinen besten Freund. Landen
hatte zwar ein Bein verloren, war aber glücklich heimgekehrt. Mein
Bruder war immer noch da draußen.
»Wer ist das?« fragte Paige, die mir über die Schulter geblickt hatte.
»Boah!« kreischte ich. »Mußt du mich unbedingt so erschrecken?«
»Tut mir leid. Die Krim?«
Ich reichte ihr das Foto, und sie betrachtete es eingehend. »Das muß
dein Bruder sein – ihr habt dieselbe Nase.«
»Ich weiß, wir haben sie immer abwechselnd getragen. Ich war
montags, mittw…«
»… dann muß der andere Landen sein.«
Ich drehte mich um und sah sie stirnrunzelnd an. Ich redete nie mit
Fremden über Landen. Das war Privatsache. Ich haßte das Gefühl,
daß sie mir nachspionierte.
»Woher weißt du von Landen?«
Als sie den Zorn in meiner Stimme bemerkte, zog sie lächelnd eine
Augenbraue hoch. »Du hast mir selbst von ihm erzählt.«
»Ach ja?«
»Allerdings. Du hast zwar gelallt und fast nur dummes Zeug
geredet, aber es ging eindeutig um ihn.«
Ich zuckte zusammen. »Bei der Weihnachtsfeier letztes Jahr?«
»Oder vorletztes. Du warst aber beileibe nicht die einzige, die gelallt
und dummes Zeug geredet hat.«
Ich warf noch einen Blick auf das Foto. »Wir waren verlobt.«
Mit einem Mal wirkte Paige verlegen. Verlobte von der Krim waren
ein äußerst heikles Thema. »Ist er … äh … heimgekehrt?«
»Größtenteils. Er hat ein Bein zurückgelassen. Wir haben uns aus
den Augen verloren.«
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»Wie heißt er mit Nachnamen?« erkundigte sich Paige; endlich
erfuhr sie etwas über meine Vergangenheit.
»Parke-Laine. Landen Parke-Laine.« Ich konnte mich nicht
entsinnen, wann ich seinen Namen das letzte Mal laut ausgesprochen
hatte.
»Parke-Laine? Der Schriftsteller?«
Ich nickte.
»Gutaussehender Typ.«
»Danke«, sagte ich artig, ohne recht zu wissen, weshalb. Ich legte
das Foto in die Schreibtischschublade zurück. Paige schnippte mit den
Fingern, als ihr wieder einfiel, was sie eigentlich von mir wollte.
»Du sollst zu Boswell kommen«, verkündete sie.
Boswell war nicht allein. Ein Mann um die vierzig erwartete mich
und stand auf, als ich hereinkam. Er hatte eine lange Narbe im
Gesicht. Boswell druckste einen Augenblick herum, warf hüstelnd
einen Blick auf seine Armbanduhr, schob wichtige Termine vor und
ging hinaus.
»Polizei?« fragte ich, als wir allein waren. »Ist ein Verwandter
gestorben oder so?«
Der Mann schloß die Jalousien, damit wir gänzlich ungestört waren.
»Nicht daß ich wüßte.«
»SO-1?« Ich rechnete fest mit einem Rüffel.
»Ich?« erwiderte der Mann. Seine Verwunderung war nicht gespielt.
»Nein.«
»LitAg?«
»Warum setzen Sie sich nicht?«
Er bot mir einen Platz an und ließ sich dann auf Boswells großem
Eichendrehstuhl nieder. Er klatschte einen gelbbraunen Ordner mit
meinem Namen auf den Schreibtisch. Die Akte war erstaunlich dick.
»Geht es darin nur um mich?«
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Er ignorierte meine Frage. Statt den Ordner aufzuschlagen, beugte er
sich vor und fixierte mich, ohne zu blinzeln. »Wie beurteilen Sie den
Fall Chuzzlewit ?«
Ich starrte unwillkürlich auf seine Narbe. Sie zog sich von der Stirn
bis zum Kinn und war ähnlich klein und unauffällig wie die
Schweißnaht eines Schiffsbauers. Sie zerrte an seiner Oberlippe, doch
davon abgesehen war sein Gesicht eigentlich recht hübsch; ohne die
Narbe wäre es vielleicht sogar schön gewesen. Mein Benehmen war
taktlos. Instinktiv hob er die Hand, um die Narbe zu verdecken.
»Kosake vom feinsten«, scherzte er gequält.
»Das tut mir leid.«
»Nicht nötig. Sie ist schließlich kaum zu übersehen.«
Er schwieg einen Augenblick.
»Ich arbeite für SpecOps-5«, verkündete er zögernd und zeigte mir
eine polierte Marke.
»SO-5?« stieß ich hervor, außerstande, mein Erstaunen zu
verbergen. »Was treibt ihr da eigentlich genau?«
»Das ist geheim, Miss Next. Ich habe Ihnen die Marke nur gezeigt,
um Ihnen klarzumachen, daß Sie offen mit mir reden können und sich
über die
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