01_Der Fall Jane Eyre
sprechen.«
Der Wirt verschwand nach oben und kam kurz darauf zurück.
»Zimmer sieben«, sagte er knapp und machte sich wieder an die
Arbeit.
Acheron saß am Fenster, mit dem Rücken zur Tür. Er rührte sich
nicht, als ich hereinkam. »Hallo, Thursday.«
»Mr. Hedge?«
»Die Engländer des 19. Jahrhunderts sind ziemlich abergläubisch.
Ich dachte, der Name Hades könnte sie auf falsche Gedanken
bringen.«
Er drehte sich zu mir um; seine stahlblauen Augen schienen direkt
in mich hineinzublicken. Aber seine Macht über mich hatte
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nachgelassen; er konnte nicht in mir lesen wie in anderen. Er spürte
das sofort, verzog die Lippen zu einem müden Lächeln und starrte
wieder aus dem Fenster.
»Du wirst immer stärker, Thursday.«
»Ich wachse an meinen Gegnern.«
Er lachte höhnisch.
»Ich hätte schon in Styx’ Wohnung auf Nummer sicher gehen
sollen.«
»Und sich dadurch den ganzen Spaß verderben? Wenn ich und die
anderen SpecOps Ihnen nicht immer wieder die Tour vermasseln
würden, wäre Ihr Leben doch todlangweilig.«
Statt mir eine Antwort zu geben, wechselte er das Thema. »Jemand,
der so raffiniert ist wie du, wäre nie in dieses Buch gekommen, wenn
er nicht auch wüßte, wie er wieder hinauskommt. Sag schon,
Thursday. Was habt ihr abgemacht? Ein Codewort, das Mycroft
anzeigt, wann er das Tor öffnen soll?«
»So ähnlich. Wenn Sie mir die Gebrauchsanweisung und Polly
aushändigen, bekommen Sie einen fairen Prozeß, das verspreche ich
Ihnen.«
Hades lachte. »Ich glaube, für einen fairen Prozeß ist es zu spät,
Thursday. Ich könnte dich auf der Stelle umbringen, und um ehrlich
zu sein, verspüre ich einen nahezu unwiderstehlichen Drang, das zu
tun; lediglich die traurige Aussicht, bis in alle Ewigkeit in dieser
provinziellen Geschichte gefangen zu sein, hält mich davon ab. Ich
wollte nach London, aber das ist unmöglich; die einzigen Städte in
dieser Welt sind die Ortschaften, die Charlotte Brontë sich abgedacht
hat und die im Roman vorkommen. Gateshead, Lowood – mich
wundert, daß dieses Kaff so groß ist. Gib mir das Codewort, dann
bekommst du die Anleitung und Polly.«
»Nein. Erst geben Sie mir die Gebrauchsanweisung und meine
Tante.«
»Siehst du? So kommen wir nicht weiter. Ich nehme an, du möchtest
warten, bis sich das Buch neu geschrieben hat, nicht wahr?«
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»Natürlich.«
»Dann hast du von mir nichts zu befürchten, bis Jane endgültig aus
Thornfield fortgeht. Danach verhandeln wir.«
»Nein, Acheron, ich verhandle nicht.«
Hades schüttelte langsam den Kopf.
»Und ob du verhandeln wirst. Du bist zwar derart anständig und
solide, daß einem das Kotzen kommt, aber selbst du wirst schwerlich
den Rest deines jämmerlichen Lebens hier verbringen wollen. Du bist
doch eine intelligente Frau; dir wird schon was einfallen.«
Ich seufzte und ging; nach dieser Begegnung mit Hades’ finsterer
Seele war das geschäftige Treiben der Käufer und Händler eine wahre
Wohltat.
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33.
Das Buch wird geschrieben
Wir saßen im Rauchsalon des Penderyn-Hotels und
sahen, daß Thursday ganze Arbeit leistete. Die
Geschichte entwickelte sich rasant; ganze Wochen
schrumpften auf wenige Zeilen zusammen. Mycroft oder
ich lasen den Text, der sich selbst neu schrieb, laut vor.
Wir alle warteten darauf, daß die Worte »süßer Wahn«
auftauchten, doch vergeblich. Wir machten uns auf das
Schlimmste gefaßt; daß wir Hades vielleicht nie
erwischen würden. Daß Thursday als eine Art ewige
Hausmeisterin in dem Roman gefangen bleiben könnte.
BOWDEN CABLES
- Tagebuch eines LitAg
Die Wochen in Thornfield Hall vergingen wie im Flug, und ich
verwandte meine ganze Energie darauf, Jane zu beschützen, ohne daß
sie etwas davon merkte. Ich postierte einen jungen Burschen vor dem
Millcote, der Hades überwachen sollte, aber der begnügte sich damit,
jeden Morgen einen Spaziergang zu unternehmen, den örtlichen Arzt
um Lektüre anzugehen und sich die Zeit im Wirtshaus zu vertreiben.
Seine Untätigkeit bot einigen Anlaß zur Besorgnis, ich war aber froh,
daß er sich vorerst zurückhielt.
Rochester hatte seine Heimkehr brieflich angekündigt, und ihm zu
Ehren fand eine kleine Feier im engsten Freundeskreis statt. Das
Erscheinen der dusseligen Blanche Ingram setzte Jane ziemlich zu,
aber das kümmerte mich wenig. Ich war viel zu sehr damit
beschäftigt, mit John, dem Gatten der Köchin, die nötigen
Sicherheitsvorkehrungen zu
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