01_Der Fall Jane Eyre
herumstritten, hielt ich mich verborgen und kam
erst aus meinem Versteck, als Rochester die Anwesenden zu seinem
Haus führte, um ihnen die Verrückte zu zeigen. Statt ihnen jedoch zu
folgen, unternahm ich einen Spaziergang. Ich hatte keine Lust, dabei
zu sein, wenn Jane und Rochester sich damit auseinandersetzen
müssen, daß sie nicht heiraten können.
Am nächsten Morgen ging Jane fort. Ich folgte ihr in sicherem
Abstand auf der Straße nach Whitcross; sie schien mir wie ein kleines,
verirrtes Tier, das anderswo nach einem besseren Leben sucht. Ich
blickte ihr nach, bis sie verschwunden war, und ging dann auf einen
Imbiß nach Millcote. Nachdem ich im George zu Mittag gegessen
hatte, maß ich mich mit drei fahrenden Kartenspielern; bis zum Abend
hatte ich ihnen sechs Guineas abgeknöpft. Während wir noch spielten,
trat ein Knabe an unseren Tisch. »Hallo, William!« sagte ich. »Was
gibt’s Neues?« Ich beugte mich zu dem Dreikäsehoch hinunter, der
gebrauchte Erwachsenenkleider trug, die man auf ihn
zurechtgeschneidert hatte.
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»Verzeihung, Miss Next, aber Mr. Hedge ist verschwunden.«
Erschrocken sprang ich auf, nahm die Beine in die Hand und hielt erst
an, als ich im Millcote angekommen war. Ich stürzte treppauf zum
Absatz, wo einer meiner verläßlichsten Spione stand und verlegen an
seiner Mütze zupfte. Hades’ Zimmer war leer.
»Es tut mir leid, Miss. Ich war unten im Schankraum, habe aber
nichts getrunken; ich schwör’s. Er muß sich unbemerkt
davongeschlichen haben …«
»Ist sonst noch jemand die Treppe heruntergekommen, Daniel?
Raus mit der Sprache, schnell!«
»Nein, niemand. Niemand außer der alten Dame …«
Ich nahm das Pferd meines Kundschafters und war im Nu in
Thornfield. Keiner der Wachtposten vor den Türen hatte Hades
gesehen. Ich ging hinein und fand Rochester im Morgenzimmer, wo er
sich an einer Flasche Brandy gütlich tat. Als ich eintrat, hob Edward
das Glas.
»Sie ist fort, nicht wahr?« fragte er.
»Ja.«
»Verdammt! Verflucht seien die Umstände, die mich zur Heirat mit
dieser Närrin zwangen, und verflucht seien auch mein Vater und mein
Bruder, denen ich diese Liaison verdanke!«
Er sank in einen Sessel und starrte zu Boden.
»Ist Ihre Arbeit hier beendet?« fragte er niedergeschlagen.
»Ich glaube schon, ja. Sobald ich Hades gefunden habe, bin ich auf
und davon.«
»Ist er denn nicht im Millcote?«
»Nicht mehr.«
»Aber Sie glauben, ihn fassen zu können?«
»Ja; in dieser Welt scheint er geschwächt zu sein.«
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»Dann sollten Sie mir lieber Ihr Paßwort verraten. Wenn es soweit
ist, könnte es knapp werden. Wer gewarnt ist, ist gewappnet.«
»Stimmt«, gestand ich. »Um das Portal zu öffnen, müssen Sie …«
Da plötzlich schlug die Haustür zu, ein Windstoß wirbelte Papiere
auf, und vertraute Schritte hallten über den Flur. Ich erstarrte und warf
einen hastigen Blick auf Rochester, der immer noch in sein Glas
stierte.
»Das Codewort …?«
Eine Stimme rief nach Pilot. Der voluminöse Baß des Hausherrn.
»Mist!« knurrte Hades, gab die Gestalt Rochesters auf und sprang
durch die Wand. Latten und Kalkbewurf zerbrachen wie Reispapier
vor ihm. Als ich endlich auf den Korridor kam, war er schon fort, im
Labyrinth des Hauses verschwunden. Inzwischen stand der echte
Rochester neben mir, und gemeinsam lauschten wir die Treppe hinauf,
doch kein Laut drang an unser Ohr. Edward ahnte, was geschehen
war, und rief seine Knechte zusammen. Binnen zwanzig Minuten
hatte er das Haus umstellen lassen und den Befehl erteilt,
unverzüglich auf jegliche Person zu schießen, die ohne das
verabredete Losungswort zu entkommen versuchte. Dann gingen wir
in die Bibliothek, wo Rochester ein Paar Pistolen hervorholte und
vorsichtig lud. Er blickte mit Unbehagen auf meine BrowningAutomatik, während er zwei Zündhütchen auf den Zündkegeln der
Pistolen placierte und die Schlaghämmer spannte.
»Kugeln machen ihn bloß böse«, sagte ich.
»Haben Sie eine bessere Idee?«
Ich schwieg.
»Dann folgen Sie mir jetzt. Je schneller dieser Lump aus meinem
Buch verschwindet, desto besser!«
Bis auf Grace Poole und die Verrückte hatte man das Haus geräumt,
und Mrs. Poole hatte Anweisung, bis zum Morgen niemandem, nicht
einmal Mr. Rochester, die Tür zu öffnen. Rochester und ich begannen
in der Bibliothek und arbeiteten uns von dort über das Speisezimmer
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in das ausschließlich nachmittäglichen
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