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01_Der Fall Jane Eyre

01_Der Fall Jane Eyre

Titel: 01_Der Fall Jane Eyre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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entlang.«
    Wir gingen zurück zu meinem Schreibtisch. Victor wünschte mir
    noch einmal alles Gute und sprach dann mit Helmut über einige
    Raubdruckexemplare des Doktor Faustus, die – mit einem Happy-End
    versehen – auf dem Markt aufgetaucht waren.
    Ich setzte mich und zog meine Schreibtischschublade auf. Es lag
    nichts darin, nicht einmal eine Büroklammer.
    Bowden beobachtete mich. »Victor hat den Schreibtisch gleich nach
    dem Mord an Crometty ausgeräumt«, sagte er.
    »James Crometty«, murmelte ich. »Erzählen Sie mir etwas über ihn,
    bitte.«
    Bowden nahm einen Bleistift und versuchte, ihn auf der Spitze zu
    balancieren. Ein etwas naiver Versuch, mich zu beeindrucken, schien
    mir.
    »Crometty befaßte sich hauptsächlich mit der Prosa des neunzehnten
    Jahrhunderts. Er war ein exzellenter, aber auch recht aufbrausender
    Kollege, der von Dienst nach Vorschrift wenig hielt. Eines Abends,
    nachdem er einen Hinweis auf ein seltenes Manuskript erhalten hatte,
    verschwand er. Wir fanden ihn eine Woche später in einem
    aufgegebenen Lokal namens The Raven in der Morgue Road. Der
    Täter hatte ihm sechsmal ins Gesicht geschossen.«

    - 145 -
    »Das tut mir leid.«
    »Ich habe schon manchen Kollegen verloren«, sagte Bowden in
    nahezu ausdruckslosem Ton, »aber er war ein enger Freund und
    Kollege, und ich hätte gern mit ihm getauscht.«
    Er rieb sich flüchtig die Nase, die einzige Regung, die er sich
    anmerken ließ.
    »Ich halte mich für einen spirituellen Menschen, Miss Next, auch
    wenn ich nicht religiös bin. Ich will damit sagen, daß ich mir des
    Guten bewußt bin, das in mir steckt, und daß ich mich im Zweifelsfall
    bemühen würde, das Rechte zu tun. Verstehen Sie?«
    Ich nickte.
    »Und trotzdem würde ich alles dafür geben, das Leben desjenigen
    beenden zu dürfen, der diesen Mord begangen hat. Ich habe auf dem
    Schießstand trainiert und trage jetzt immer eine Waffe; sehen Sie hier
    …«
    »Später, Mr. Cable. Haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte und
    Spuren?«
    »Nein. Nichts. Wir wissen weder, mit wem er sich getroffen hat,
    noch wo. Ich habe gute Kontakte zur Mordkommission; die tappt
    ebenfalls im Dunkeln.«
    »Sechs Schüsse ins Gesicht deuten darauf hin, daß der Täter mit
    Leidenschaft und Hingabe zu Werke geht«, erklärte ich ihm. »Selbst
    wenn Crometty bewaffnet gewesen wäre, hätte ihm das vermutlich
    wenig genützt.«
    »Gut möglich«, seufzte Bowden. »Ich kann mich jedenfalls nicht
    entsinnen, daß im Laufe einer LitAg-Untersuchung auch nur einmal
    eine Pistole gezogen worden wäre.«
    Er hatte recht. Noch vor zehn Jahren galt das auch für London. Doch
    das große Geld und der nahezu unermeßliche Reichtum, der sich mit
    dem Verkauf und Vertrieb literarischer Werke anhäufen ließ, hatte
    scharenweise kriminelle Elemente angezogen. Ich wußte von
    mindestens vier Londoner LitAgs, die in Ausübung ihres Dienstes
    ums Leben gekommen waren.

    - 146 -
    »Die Gewalt auf den Straßen nimmt zu. Und das ist ganz und gar
    nicht wie im Kino. Haben Sie von den Surrealistenunruhen gestern
    abend in Chichester gehört?«
    »Allerdings«, antwortete er. »Nicht mehr lange, dann haben wir in
    Swindon ähnliche Zustände. An der Kunstakademie kam es letztes
    Jahr zu einem regelrechten Aufstand, als die Schulleitung einen
    Dozenten entließ, der seinen Studenten heimlich den abstrakten
    Expressionismus schmackhaft gemacht hatte. Er sollte wegen
    Fehlinterpretation visueller Medien vor Gericht gestellt werden. Wenn
    mich nicht alles täuscht, hat er sich nach Rußland abgesetzt.«
    Ich sah auf meine Uhr.
    »Ich muß zum Commander.«
    Ein zartes Lächeln huschte über Bowdens ernstes Gesicht.
    »Na, dann viel Glück. Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf,
    lassen Sie Ihre Automatik verschwinden. Trotz des Todes von James
    hat Commander Hicks etwas gegen die permanente Bewaffnung von
    LitAgs. Er ist der Ansicht, daß unser Platz am Schreibtisch ist und
    nirgends sonst.«
    Ich dankte ihm, verstaute meine Automatik in der
    Schreibtischschublade und ging den Flur hinunter. Ich klopfte
    zweimal an und wurde von einem jungen Mann ins Vorzimmer
    gerufen. Ich sagte ihm meinen Namen, und er bat mich, zu warten.
    »Der Commander empfängt Sie gleich. Möchten Sie eine Tasse
    Kaffee?«
    »Nein, danke.«
    Der junge Mann sah mich neugierig an. »Es heißt, Sie sind extra aus
    London gekommen, um Jim Cromettys Tod zu rächen. Es heißt, Sie
    haben zwei Männer erschossen. Es heißt, das Gesicht Ihres

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