01 - Der Geist, der mich liebte
schrammte über das Türholz und griff nach der Maske, die dort hing. Adrian war dicht hinter mir. Ich spürte einen Luftzug, als er versuchte, mich zu packen. Im selben Augenblick gaben meine Knie nach. Ich stürzte und riss die Maske mit mir. Adrians Hände langten daneben. Sofort setzte er nach. Dieses Mal bekam er mich zu fassen und riss mich herum. Der Schmerz, der daraufhin wie eine Welle über mir zusammenschlug, raubte mir fast das Bewusstsein. Brüllend vor Qual schlug ich ihm die Maske an den Kopf. Adrian fuhr zurück. Ich
wusste, dass ich nicht mehr auf die Beine kommen würde, um die Tür zu öffnen. Wenigstens den Geisterbann musste ich zerstören!
Ich rollte mich herum. Adrian griff nach mir. Dieses Mal versuchte ich nicht, mich zu wehren. Ich hatte ihm ohnehin nichts mehr entgegenzusetzen. Während er sich über mich beugte, streckte ich mein Bein aus, bis ich die Wand spürte. Mit heftigen Bewegungen kratzte ich mit der Ferse über den Boden, in der Hoffnung, es würde genügen, den Kreis zu durchbrechen.
Die Tür explodierte förmlich. Einen Herzschlag später stürmte Nicholas ins Haus und stürzte sich auf Adrian. Zur gleichen Zeit kreischte die Alarmanlage los. Ein grausiges Schrillen, das mir durch Mark und Bein fuhr und meine Schmerzensschreie und jeden anderen Laut im Haus übertönte. Nicholas riss Adrian von mir fort und drosch ihm die Faust ins Gesicht. Ich versuchte mich aufzurichten, um Nicholas zu helfen oder wenigstens zu sehen, was geschah, doch es gelang mir nicht. Der Schmerz raubte mir den Atem. Kraftlos sank ich zu Boden. Mir schwanden immer wieder die Sinne und jedes Mal, wenn ich wieder ein wenig von meiner Umgebung wahrnahm, war der Dauerkreischton der Alarmanlage das erste Anzeichen, dass ich wieder bei Bewusstsein war. Der Blutverlust hatte mir inzwischen so viel Kraft geraubt, dass ich nicht einmal mehr meine Hand heben konnte. Es war schon erstaunlich, dass meine Augenlider mir überhaupt noch gehorchten. Bald wäre auch das vorbei.
Nicholas hatte Adrian so weit zurückgedrängt, dass er
jetzt zwischen Wand und Standuhr in der Enge saß. Adrian blutete aus einer Platzwunde über der Stirn. An Nicholas konnte ich keine Verletzungen erkennen. Während ich mich fragte, ob er überhaupt verletzt werden konnte, wurde es erneut schwarz um mich. Ich wehrte mich dagegen, klammerte mich an das Schrillen der Alarmanlage und daran, dass ich vielleicht nicht mehr aufwachen würde, wenn ich mich jetzt geschlagen gab. Aber was machte das schon aus? Alles, was ich noch wollte, war, dass dieser entsetzliche Schmerz endlich aufhörte, der meinen Körper entzweizureißen schien.
Keuchend kämpfte ich darum, bei Bewusstsein zu bleiben. Ich atmete stoßweise und versuchte die bleierne Müdigkeit zu verdrängen, die sich immer mehr in mir ausbreitete. Am anderen Ende der Halle schlug Nicholas gerade nach Adrian. Sein Hieb ging durch ihn hindurch. Mein Gott, dachte ich, die Wirkung meines Atems lässt nach! Wenn Nicholas nicht mehr materiell war, konnte er nicht verhindern, dass Adrian sich mein Blut - das bisschen, das noch davon übrig war - holen und unsterblich werden würde. Der nächste Schlag saß wieder und warf Adrian an die Wand zurück. Sichtlich war doch noch genug Atem in ihm. Nicholas nagelte Adrian an der Wand fest, dann sprang er vor. Doch statt nach Adrian zu schlagen, packte er ihn und riss ihn herum. Dann presste er seine Lippen auf den Mund seines Bruders und raubte ihm den Atem.
Der Anblick war so unglaublich, dass ich für einen Moment sogar vergaß, bewusstlos zu werden. Während Nicholas Adrians Leben in sich aufnahm, holte Adrian sein wahres Alter ein. Falten breiteten sich auf seiner Haut aus, erst dünne Linien, dann immer tiefere Runzeln. Graue Strähnen durchzogen sein Haar, verdrängten das Braun immer mehr, wurden schließlich weiß, dann schütter. Seine aufrechte, jugendliche Gestalt veränderte sich, beugte sich unter dem Alter, als wäre die Last zu viel. Von der Kraft der Jugend war nichts mehr geblieben. Bucklig und dürr sah er nun aus. Altersflecken überzogen seine Haut, die Fingernägel waren gelblich verfärbt. Das Weiße in seinen Augen wurde trüb, als wäre es vergilbt.
Als Nicholas ihn losließ, stürzte er zu Boden und blieb liegen. Ein alter Mann, dessen gebrochener Blick auf mich gerichtet war. Nicholas hatte ihm den Atem und damit das Leben entzogen. Nur langsam wurde mir die Tragweite dieser Erkenntnis bewusst. Einmal mehr erinnerte ich
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