01 - Der Geist, der mich liebte
»Ziemlich unheimlich hier«, murmelte ich und erschrak, als meine Stimme von den Wänden zurückgeworfen wurde.
Tess hatte mich gehört. »Das sagt ausgerechnet jemand, in dessen Haus ein Geist sein Unwesen treibt«, lachte sie.
»Da fand ich es am Anfang genauso gruselig.«
»Das sind bloß Lagerräume. Die Stadtchroniken, alte Regale, Tische, Stühle. All so ein Zeug«, erklärte sie. »Hinter der letzten Tür wird es richtig interessant.«
Also folgte ich Tess zur letzten Tür. »Wieso bewahrt man alte Bücher in einem feuchten Keller auf? Doch nicht, damit die Würmer zwischen den Seiten Partys feiern.«
Tess bedachte mich lediglich mit einem Das-wirst-du-schon-sehen-Blick. Wir waren inzwischen an der letzten Tür angekommen. Sie war nicht einmal verschlossen. »Wahrscheinlich denkt Mr Owens, dass es mir hier unten zu unheimlich ist und ich deshalb sowieso nie hierherkomme.«
Ich nahm an, dass dieser Mr Owens der glückliche Bibliothekar war, der gerade irgendwo im Urlaub weilte und keine Ahnung hatte, wie häufig seine Bibliothek geschlossen war. »Tja, dann kennt er dich wohl nicht gut genug«, bemerkte ich trocken.
Tess öffnete die Tür. Das Licht vom Gang reichte kaum bis zur Schwelle. Alles, was dahinterlag, verschwand in der Dunkelheit. Tess fand den Lichtschalter so zielsicher, dass ich mich fragte, wie oft sie hierherkam. Müdes gelbes Licht tastete sich durch den Raum, ohne die Wände zu berühren. Auf der linken Seite stapelten sich einige Tische. Rechts standen ein paar Regale an der Wand, zugehängt mit langen, einstmals weißen Leintüchern. Das traf schon eher meine Vorstellung von Gespenstern.
Mir fielen unzählige Filme ein, in denen immer dann etwas passierte, wenn sich Menschen an Orten aufhielten, die sie nichts angingen. Was für ein Blödsinn! Unwillkürlich schüttelte ich den Kopf. Ja, dachte ich, genauso blöd wie Geister.
Tess ging zielstrebig auf eines der Leintücher zu und schlug es zur Seite. Dahinter kam nicht, wie ich erwartet hatte, ein Regal zum Vorschein, sondern eine weitere Tür. Die Oberfläche war aus irgendeinem Metall. Keine Ahnung, ob es Stahl war oder etwas anderes. Diese Tür hier zu sehen, war erstaunlich genug. »Das sieht ja aus wie ...«
»... wie ein Tresor«, vollendete Tess meinen Satz und rückte der Tür mit ihrem Geheimschlüssel zu Leibe. Sie brauchte beide Hände, um sie aufzuziehen, so schwer war sie. Sichtlich war es wirklich eine Art Tresortür.
Wieder tastete sie nach dem Lichtschalter, und dieses Mal erklang zu meiner Überraschung das dumpfe Brummen einer Neonröhre. Kaltes Licht durchflutete eine kleine, mit Metall ausgeschlagene Kammer. Tiefe Regale säumten die Wände und füllten, abgesehen von einem schmalen Gang in der Mitte, den ganzen Raum. Der Geruch von altem Staub lag in der Luft. Keine Spur von Feuchtigkeit und auch kein bisschen Moder. Es war sogar warm hier. Und so eng, dass man Platzangst bekommen konnte.
»Der Raum hat eine eigene Belüftung, durch die Temperatur und Luftfeuchtigkeit geregelt werden. Die Stahlwände schützen vor Feuer«, erklärte Tess. »Hier lagern die wertvollen Stücke - und die, die keiner sehen soll.« Sie schob mich in die Kammer hinein bis zum anderen Ende. »Diese Regale«, sagte sie mit einer Handbewegung, die den gesamten hinteren Teil des Raumes einschloss, »sind voll mit Büchern über Hexerei, Geister und okkultes Wissen. Hier lagern Schätze, so was hast du noch nicht gesehen!«
Hatte ich doch. Zumindest das eine Buch, dessen abgewetzter Lederrücken ein wenig aus der Reihe von unterschiedlich hohen und breiten Buchrücken herausstand. Es war das Buch, das Tess zur Beschwörung dabeigehabt hatte. »Warum zeigst du mir das alles?«
»Weil ich will, dass du mir vertraust. Ich will, dass du weißt, ich rede nicht nur esoterischen Mist, sondern habe
tatsächlich das nötige Werkzeug zur Hand, um deinen Geist zu befreien«, sagte sie ernst und unterstrich ihre Aussage mit einer Kaugummiblase. »Bevor etwas davon zum Einsatz kommt, müssen wir allerdings erst herausfinden, warum er keinen Frieden finden kann.«
Seit der geglückten Beschwörung hatte ich meine Meinung über Geister gründlich geändert. Tess hätte mir die Kammer nicht zeigen müssen. Ich hätte ihr auch so geglaubt, dass sie es schaffen würde, Nicholas zu helfen. Allerdings fiel mir etwas anderes auf. »Könntest du ihn bitte nicht ständig meinen Geist nennen!«
»Aber er ist in deinem Haus. Also gehört er dir. Betrachte
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