01 - Der Geist, der mich liebte
für mich, um aus erster Hand etwas über Marketing zu lernen - Wer weiß, vielleicht mache ich mich mit dem Wissen, das ich mir dort aneigne, eines Tages selbstständig.« Ich seufzte und spachtelte umso verbissener weiter. »Mom will nicht, dass ich gehe. Sie versucht ständig mich zu überreden, in Minneapolis zu bleiben. Neulich hat sie sogar in meinem Namen bei einer Firma angerufen und für mich ein Vorstellungsgespräch vereinbart. Kannst du dir das vorstellen? Seit sie weiß, dass ich nach Boston ziehe, liegen wir uns dauernd in den Haaren.«
Im Laufe des Nachmittags wurde es für mich immer selbstverständlicher, mit Nicholas zu sprechen. Bald war ich so weit, dass es mir komisch vorgekommen wäre, nichts zu sagen, als würde ich seine Anwesenheit komplett ignorieren.
Ich redete unentwegt und spachtelte wie eine Besessene.
Bis die Spachtel brachen. Fluchend warf ich sie in einen Haufen Tapetenschnipsel, der sich auf dem Boden türmte, und lief die Treppe nach unten.
»Ich fahre in den Heimwerkermarkt!«, rief ich Nicholas zu und packte meinen Hausschlüssel. »Bin bald zurück!« In der Tür blieb ich noch einmal kurz stehen. »Ich bringe Tess gleich mit!«
Auf dem Weg in den Ort hielt ich kurz bei der Tankstelle und tankte den Wagen voll. Nur für alle Fälle. Es war seltsam, plötzlich allein zu sein. Ich musste sogar den Drang unterdrücken, weiterhin meine »Selbstgespräche« zu führen. Einzig die Wärme deutete darauf hin, dass Nicholas tatsächlich nicht bei mir war. Zu meiner Überraschung fand ich das bedauerlich.
Da ich noch eine Menge Tapeten vor mir hatte, kaufte ich gleich drei Spachtel. Mr Perkins bot mir an, mir noch mehr Kartons zu beschaffen, falls ich welche brauchen würde. Er wickelte mir die Spachtel in eine braune Papiertüte und winkte mir zum Abschied fröhlich zu. Ich verließ den Laden und ging zur Bibliothek. Inzwischen wurde es dunkel.
Es war bereits kurz vor acht und ich war beinahe erstaunt, dass Tess noch nicht abgeschlossen hatte. Sicher, offiziell war ja bis halb neun geöffnet, aber das war nun wirklich kein Hindernis für Tess.
Als ich ihr eröffnete, dass ich sie abholen wollte, um sie
Nicholas vorzustellen, war sie vor Freude aus dem Häuschen - und sperrte sofort zu.
»Tess, es eilt nicht.«
»Eilt nicht ? Spinnst du ?«, rief sie und ließ eine Kaugummiblase platzen. »Es ist schon fast dunkel! Abgesehen davon will ich dir vorher noch etwas zeigen. Los! Komm mit!« Sie packte mich bei der Hand und zog mich mit sich.
Mir fiel zum ersten Mal auf, dass ich noch nie weiter als bis zum Empfangstresen in die Bibliothek vorgedrungen war. Selbst die Bücher übers Heimwerken hatte Tess mir nach vorne gebracht. Jetzt führte mich Tess einen von hohen Regalen gesäumten Gang entlang. An seinem Ende bogen wir nach links und folgten einem anderen Gang, bis wir plötzlich vor einer breiten Holztreppe standen, die nach oben führte.
»Wo wollen wir überhaupt hin?« Ich fand es ganz und gar nicht den geeigneten Zeitpunkt für eine Führung.
»Ich will dir zeigen, warum ich die größte Hoffnung für dein Gespenst bin!« Sie griff in ihren Ausschnitt, zog einen Schlüssel heraus und hielt ihn triumphierend vor mir in die Höhe.
»Du bewahrst den in deinem BH auf?« Ich schüttelte ungläubig den Kopf.
»Geheimer Schlüssel für geheimes Archiv an geheimem Ort«, grinste sie.
»Aha. Und was machst du zu Hause damit?«
»Schlüsselkasten.« Sie schob mich an der Treppe entlang bis zu einer Tür darunter. Einen Moment später hantierte sie klirrend mit einem Schlüsselbund. Dann stieß Tess die
Tür auf. Dahinter fiel eine schmale Treppe in die Dunkelheit ab. Feuchte Kälte stieg uns entgegen.
Tess knipste das Licht an und stieg die Stufen hinunter. Ich folgte ihr. Der Gang war schmal und gerade hoch genug, dass ich aufrecht gehen konnte, ohne mir den Kopf anzustoßen. Das leise Knarren der Holzstufen begleitete jeden unserer Schritte. Dann lagen die Stufen hinter uns und wir standen auf alten, staubigen Holzdielen. Spinnweben füllten die Ecken und umgaben sogar die Deckenlampen. An der einen oder anderen Stelle glaubte ich, irgendwelches Krabbelgetier davonhuschen zu sehen.
Vom Gang zweigten mehrere Türen ab. Sie waren allesamt aus vom Alter dunkel gewordenem Holz und verzogen von Feuchtigkeit. Die Wände waren fleckig, der Boden staubig. Die Lampen, die im Abstand von mehreren Metern an der Decke angebracht waren, schafften es kaum, alles zu beleuchten.
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