01 - Der Geist, der mich liebte
sprechen. Allerdings würde ich ihm nicht ohne Vorsichtsmaßnahmen gegenübertreten. Welche das sein sollten, wusste ich noch nicht. Vielleicht konnte Tess mir dabei helfen. Mit ihr wollte ich ohnehin zuerst sprechen. Allein schon, um mich zu entschuldigen. Vielleicht konnte sie auch ein wenig Licht in die Sache bringen, sodass ich gar nicht mit Nicholas sprechen musste. Es gab da einiges, was ich nicht verstand. Nicholas musste sie zu Adrians Haus geschickt haben. Aber wie und vor allem warum?
Die Fragen kamen in immer schnellerer Reihenfolge und meine Antworten bestanden lediglich aus sinnlosen Spekulationen. Mit einem entnervten Seufzer warf ich die Zahnbürste ins Waschbecken, sammelte meine Sachen zusammen und verließ das Cedars Inn.
Ich machte einen Abstecher ins Diner und ließ mir ein paar Croissants und zwei Becher Kaffee geben. Mein Friedensangebot an Tess. Bewaffnet mit einer Papiertüte und den Kaffeebechern, die in einem kleinen Papphalter steckten, damit ich sie mit einer Hand tragen konnte, machte ich mich auf den Weg zu Tess. Es war nicht weit und ich war früh dran, sodass ich beschloss, zu Fuß zu gehen. Ein wenig frische Luft würde mir guttun.
Als ich in die Hampton Road einbog, sah ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Eine Menschentraube stand auf dem Gehweg. Mehrere Polizeiwagen mit blinkenden Blaulichtern parkten am Straßenrand. Zwischen den Leuten konnte ich das gelbe Band einer Polizeiabsperrung erkennen. Genau vor Tess' Haus. Ich wurde schneller, bis ich beinahe rannte.
Dann sah ich den Leichenwagen. Durch die Heckscheiben schimmerten die matten Umrisse eines Zinksargs. Meine Finger krampften sich um die Papiertüte. Ich hatte die Menschenmenge erreicht und drängte mich ohne auf den Protest der Leute zu achten durch. Gleich hinter der Absperrung stand der Sheriff. Ich stürmte vor, bis mich nur noch das gelbe Band von ihm trennte.
»Sheriff Travis!«, rief ich atemlos, kaum dass ich ihn erreichte. »Was ist hier passiert?«
Es dauerte einen Moment, ehe er mich erkannte. »Ms Mitchell.« Er schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, ich kann
Ihre Neugier nicht stillen. Zu laufenden Ermittlungen darf ich keine Auskunft geben. Gehen Sie bitte weiter.«
Ich sah zum Haus - Tess' Haus -, wo eine Handvoll Polizisten mit weißen Handschuhen und kleinen Plastiksäckchen über den Rasen wimmelte. Mehrere von ihnen konzentrierten sich auf eine Stelle gleich vor dem Eingang. Immer wieder ließen sie verschiedene Dinge in ihren Tütchen verschwinden. So wie der Sheriff es vorgestern mit der Pistole des Landstreichers getan hatte. Beweismaterial. Mein Mund wurde trocken. Ich musste meinen Blick vom Leichenwagen, der noch immer am Straßenrand stand, fortzwingen. Lieber Gott, lass das nicht zu! »Sheriff, bitte. Eine Freundin von mir wohnt in diesem Haus. Tess Adams. Ich wollte gerade zu ihr.«
Sheriff Travis' Miene verfinsterte sich. Er duckte sich unter der Absperrung hindurch und kam auf meine Seite. »Kommen Sie, Ms Mitchell.«
Ich spürte seine Hand auf meinem Ellbogen, als er mich ein Stück von der Straße weg auf einen schmalen Weg zwischen der Garage und dem Nachbarhaus führte. Fort von den Menschen und den blinkenden Blaulichtern. Vor einer kniehohen Gartenmauer blieb er stehen. Hier war es schattig und still. Totenstill. Ich hielt es nicht länger aus. »Sagen Sie mir, dass ihr nichts passiert ist! Sheriff, Sie müssen ...«
»Ms Mitchell.« Sein Tonfall war so eindringlich, dass ich augenblicklich verstummte. »Ihre Freundin ist tot.«
Kaffee und Croissants fielen mir aus der Hand. Meine Finger hatten einfach nicht mehr die Kraft, sie zu halten. Ebenso wenig wollten mich meine Beine länger tragen. Ich
ließ mich auf die Gartenmauer sinken. Wie betäubt saß ich da und starrte den Sheriff an. »Sind Sie sicher, dass es Tess ...«
»Es besteht kein Zweifel.«
Aber es mussten einfach Zweifel bestehen! Tess war meine Freundin! Ich hatte mich nicht einmal bei ihr entschuldigt! Sie konnte nicht tot sein! Das durfte einfach nicht sein! »Wie ist es passiert? Hatte sie einen Unfall?«
»Die genaue Todesursache muss der Gerichtsmediziner in einer Obduktion klären. Soweit wir es im Augenblick wissen, wurde sie erstickt. Ein Nachbar fand sie bei Sonnenaufgang vor dem Haus. Ms Mitchell, wann haben Sie Teresa Adams das letzte Mal gesehen?«
Wenn ich nicht bereits gesessen hätte, wären mir spätestens jetzt die Füße weggeknickt. Erstickt. Wie ? Wurde ihr der Atem genommen? Meine Hände
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